Offener Brief von Wissenschaftlern der Universität Leipzig vom September 2003

Offener Brief des Vorsitzenden des Paulinervereins - Prof. Dr. Blobel - an die Wissenschaftler aller Fakultäten der Universität Leipzig

im Dialog

Prof. Dr. Charlotte Schubert

Historisches Seminar
Lehrstuhl für Alte Geschichte
Universität Leipzig
Beethovenstr.15
04107 Leipzig
Tel.: 0341/ 9737071

18.09.2003

Antwort an
Prof. Dr. Oldiges
Prof. Dr. Becker-Eberhard
Prof. Dr. Lux
Prof. Dr. Michel

zur Umfrage „Neugestaltung des Grundstückes der Universitätskirche“

Liebe Kollegen!

Mit großer Betroffenheit habe ich den Inhalt Ihres Rundbriefes an die Kolleginnen und Kollegen unserer Universität zur Kenntnis genommen. Sie befürworten eine kirchennahe Wiederbebauung, Sie vertreten die Auffassung, nur das Aufragen eines Giebeldachs könne die Tradition der Universität im Jahre 2009 repräsentieren, Sie wollen die Stimmen sammeln, die nur in der architektonischen Orientierung des Neubaus an der Kubatur der Universitätskirche den Erinnerungsbezug gelten lassen wollen.

Sie wenden sich damit ab von der in allen Gremien der Universität mit großen Mehrheiten, zuletzt im Senat am 30.1.2003, bekräftigten Auffassung, die universitären Belange von Studium, Forschung und Lehre zur Leitlinie des Campus-Neubaus zu machen. Sie ignorieren die Gründe, die Altmagnifizenz Bigl und seine Prorektoren zum Rücktritt veranlaßt haben. Sie stellen sich auch gegen den jetzt von Universität, Stadt und Landesregierung erreichten Neuanfang, der in einer harten, aber gemeinsam und erfolgreich geführten Auseinandersetzung errungen wurde.

Ich sehe mit Bedauern, wie in Ihrem Brief die Tradition des Erinnerungsortes der Leipziger Universitätskirche durch Separierung der Erinnerung von Gegenwart und Zukunft gefährdet wird, wie die Illusion einer unbefleckten Identifikationsinsel geschaffen werden soll, wo in Wirklichkeit ein Identifikationsangebot gefordert ist, das die Bruchlinien in der Geschichte der Universität darstellt, aber keine neue Mythenbildung fördert.

Ich sehe aber auch das positive Element an dem jetzt und hier zum wiederholten Mal aufgebrochenen Streit um den Erinnerungsort der Universitätskirche, das darin liegt, daß die Universität ihre Fähigkeit zum offenen und lebhaften Diskurs zeigen kann.

Daher möchte ich Ihren Rundbrief als Anregung verstehen, das inneruniversitäre Gespräch, das u.a. in den beiden Kolloquien im April und Mai aufgenommen wurde, nun in dieser Form weiterhin zu verstetigen. Ich möchte hier an das Ergebnis unserer Diskussion vom 28.5.2003 im Geschwister-Scholl-Haus anknüpfen, wo wir einen allgemeinen Konsens darüber erreicht haben, dass ein originalgetreuer Wiederaufbau von niemandem mehr gewünscht wird, auch nicht vom Paulinerverein, dessen Vertreter dies ebendort sehr deutlich bestätigt haben. Auch in der Diskussion des Verhältnisses von Erinnerung und Rekonstruktion stand fest, dass die Rekonstruktion als solche nur zur Schaffung einer hypothetischen Geschichte dienen könne. So würde ein Denkmal geschaffen werden, mit dem man sich der Sache selbst eher entledigen würde, also eine Entschuldung durch Musealisierung! Ausdrucksformen für die Erinnerung, die die Sprengung der Kirche als Herausforderung zur Antwortsuche, als Mahnung und als Dialog zwischen Gebäude, Betrachter und Benutzer (!) in die universitäre Erinnerung so integrieren, daß diese Erinnerungsspur in der Traditionslinie 1968-1989-2009 freigelegt wird und bleibt, stellen natürlich eine besondere Herausforderung an die ästhetische und architektonische Gestaltung dar. Ein Identifikationsangebot herkömmlicher Art ? und das ist der von Ihnen hier vertretene Formgedanke mit Kubatur und Giebel - ist nicht ausreichend, wenn es darum geht, diese Bruchlinien als Teil der universitären Erinnerung darzustellen und in Nutzung und Funktion zu integrieren.

Die Aspekte von Nutzung und Funktion scheinen mir in Ihrem Brief sehr in den Hintergrund gerückt, obwohl auch und gerade die Universitätskirche ein spezifisch universitäres Raumprogramm darstellte. Die über Jahrhunderte entwickelte, wieder und wieder veränderte Gestalt dieser Kirche verweist auf eine Codierung des Raums, die aber seit dem 16. Jahrhundert in allen Umbauten immer dem universitären Geschehen und dessen Bedürfnissen gefolgt ist! Genauso fanden die Stadien des universitären Selbstverständnisses in der Funktion der Universitätskirche ihren jeweiligen Ausdruck. Diese verschiedenen Phasen der universitären Geschichte können in ihrer Vielfalt und zeitlichen Abfolge natürlich unterschiedlich erinnert werden, in ihrer Gesamtheit sind sie jedoch an diesem Ort zum Identifikator für die Konstruktion der kollektiven Identität der Universität Leipzig geworden und bis heute und bis jetzt wird die Vielschichtigkeit dieser Tradition deutlich.

Die politisch motivierte und veranlasste Zerstörung der Universitätskirche im Jahre 1968 hat einen Teil des universitären Funktionsgedächtnisses zerstört, aber wohl kaum jedoch das universitäre Gedächtnis als solches! Das heißt also, daß für den Erinnerungszusammenhang an diesem Platz nicht ein allein gültiger Indikator - die kirchennahe Form ? wie für ein kanonisiertes Selbstbild stehen kann, sondern daß es um einen Erinnerungsort geht, an dem die Dynamik der Wissenschaft und der gesellschaftlichen Erfordernisse in ihrer ständigen Entwicklung im universitären Geschehen darzustellen ist.

Daher also mein Plädoyer: Jetzt hat die Universität endlich die Chance zum Neubau und so sollte die Architektur den Funktionen einer Universität der Zukunft dienen, nämlich den Anforderungen der bevorstehenden Studienreformen, den Anforderungen moderner Forschungsstrukturen, der Zunahme internationalen Engagements der Universität. Dazu gehört natürlich auch ein angemessener Platz für Universitätsmusik, Universitätsgottesdienst, Predigerausbildung und Exposition der Kunstschätze. Dazu gehört selbstverständlich auch die Darstellung des Ereigniskatarakts von 1968, aber dies in einer dem universitären Selbstverständnis angemessenen Form der kritischen Distanz!

Mit freundlichen Grüßen
Charlotte Schubert


 

Antwort von Prof. Dr. Bigl

Herr
Professor Dr. M. Oldiges
Dekan der Juristenfakultät

Leipzig, den 25.09.2003

Nachrichtlich an:
Prof. Becker-Eberhard
Prof. Michel
Prof. Lux

Rundbrief zur Paulinerkirche

Spectabilis,
lieber Herr Kollege Oldiges,

mit großer Bestürzung und Sorge, sowie persönlicher Enttäuschung habe ich Ihren Rundbrief erhalten. Obwohl ich mich nach meinem Rückzug aus der Universitätsleitung ganz bewusst nicht mehr in die öffentliche Diskussion um die Neugestaltung des Campus am Augustusplatz eingebracht habe, drängt mich meine Sorge, kurz zu Ihrem Schreiben Stellung zu nehmen. Dabei geht es mir nicht um die sachliche Argumentation, mit der Sie Ihre Sichtweise einer “kirchennahen” Gestaltung am Standort der ehemaligen Paulinerkirche im Zuge der geplanten Neugestaltung des Universitätskomplexes am Augustusplatz darstellen und um Unterstützung Ihres Standpunktes werben, obwohl sich auch dazu vieles sagen ließe.

Enttäuscht und mit Sorge erfüllt bin ich vielmehr darum, dass Sie mit Ihrem Brief faktisch zu einer Abkehr von allen die Neugestaltung des zentralen Standortes unserer Universität betreffenden Beschlüsse der akademischen Gremien aufrufen, und dies in einer Zeit, in der nach heftigen Kontroversen und schwierigen Verhandlungen die Verwirklichung unserer seit vielen Jahren diskutierten Vorstellungen endlich wieder Fortschritte macht. Sie und die Mitunterzeichner Ihres Briefes haben diese Diskussion als Dekan, Sprecher des Konzils oder in anderen verantwortlichen Funktion in den Selbstverwaltungsgremien der Universität in den letzten Jahren aktiv begleitet und hatten jede Möglichkeit, Ihre Meinung im Laufe des jahrelangen Ringens um die Erstellung einer entsprechenden Gestaltungskonzeption einzubringen. Wie Sie deshalb selbst wissen, sind alle Beschlüsse zum vorliegenden Konzept der Universität bezüglich der Neugestaltung bzw. des Neubaus eines innerstädtischen Campus am Augustusplatz im Konzil und Senat einstimmig oder nahezu einstimmig gefasst worden. Zuletzt hat der Senat am 30.01.03 aus Anlass meines Rücktrittes das Gestaltungskonzept der Universität nochmals bestätigt.

Wenn Sie jetzt diese Beschlüsse, an denen Sie – ich muss es nochmals betonen – selbst aktiv beteiligt waren, plötzlich durch neue Ideen und Vorstellungen ersetzen wollen, bringen Sie mit diesem scheinbar basisdemokratischen Anliegen nicht nur sich selbst in ein ungutes Licht und in Erklärungsnöte, sondern Sie stellen in einer ohnehin gegenüber den Universitäten kritisch eingestellten Öffentlichkeit, die Fähigkeit der gewählten universitären Selbstverwaltungsgremien zur Gestaltung der Geschicke der Universität in eigener Verantwortung generell in Frage. Sie liefern damit – auch wenn ich Ihnen dabei keine Absicht unterstellen möchte – jenen willkommene neue argumentative Munition, denen das Prinzip der Selbstverwaltung der Universität schon immer ein Dorn im Auge war. Sie beschädigen damit das Ansehen der Universität und schwächen nicht zuletzt auch ihre Position in den vor ihr liegenden komplizierten Verhandlungen auf anderen Gebieten.

Sie sehen mir bitte nach, wenn ich Sie auch daran erinnere: Der erreichte Stand der Verwirklichung der Vorstellungen der Universität bei der Neugestaltung des Universitätsgeländes wäre nicht möglich gewesen, ohne die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung und dem Oberbürgermeister und deren uneingeschränkter Unterstützung in einer auch für die Stadt nicht einfachen Entscheidungssituation. Die turbulente Sitzung des Stadtrates, die Sie sicher in der Presse verfolgt haben, spiegelt dies beispielhaft wieder. Eine Abkehr von den gemeinsamen Grundpositionen würde deshalb auch nicht ohne Auswirkungen auf die künftige Zusammenarbeit mit der Stadt bleiben, macht sie doch die Leitung der Universität und ihre Repräsentanten unglaubwürdig gegenüber ihren Mitstreitern in Stadt und Land, ebenso wie gegenüber den Mitarbeitern der Universität.

Ihnen ist sicher ebenso bewusst wie mir, dass jede Abkehr von dem jetzt erreichten Kompromiss unweigerlich zu einer weiteren Verzögerung des Gesamtvorhabens führen muss und damit die dringend notwendigen Verbesserungen der desolaten und nicht mehr hinnehmbaren Arbeitssituation für Lehrende wie Studierende wie auch für die Mitarbeiter der Fakultät für Mathematik und Informatik am Augustusplatz weiter verzögern wird. Offensichtlich sind Sie bereit, dies billigend in Kauf zu nehmen. Anders kann ich Ihr Vorhaben, an allen Beschlüssen und Gremien der Universität vorbei die abgeschlossene Diskussion neu zu entfachen und “in der Öffentlichkeit zum Tragen” zu bringen, nicht interpretieren. Dies ist für mich auch eine große persönliche Enttäuschung.

Schließlich möchte ich auch daran erinnern, dass der lange und komplizierte Weg der Erarbeitung der Gestaltungskonzeption für das neue Gesicht unserer Universität im Herzen unserer Stadt auf jedem einzelnen Schritt von der Diskussion und den Beschlüssen der Gremien begleitet worden ist, in denen alle Mitgliedergruppen der Universität Sitz und Stimme haben. Bei allem Verständnis für einzelne Ihrer Argumente kann ich keinen Grund erkennen, der eine Abkehr von diesen Beschlüssen rechtfertigen würde.

Mit freundlichen Grüßen

Professor Dr. Volker Bigl


Antwort von Prof. Dr. Pahl

Aufruf zur Wiederbebauung des Grundstücks der Universitätskirche

Sehr geehrter Herr Kollege Oldiges,
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

einen Mangel an universitärer Diskussion zu o.g. Thema kann ich nicht verzeichnen. Ich möchte in der Kirchenfrage jedoch um etwas mehr Gelassenheit und Zutrauen in die demokratischen Spielregeln und die gestalterischen Fähigkeiten unserer Generation bitten. Entscheidungen sind Abbild der Gesellschaft, ihres Vermögens, gestaltende Prozesse in Gang zu setzen und der jeweiligen finanziellen und administrativen Möglichkeiten. Sie sind nach heutigem Verständnis auch nicht in alle Ewigkeit zementiert, sondern prozesshaft. Das mögliche architektonische Ergebnis wird in diesem Spannungsfeld zu bewerten sein. Es geht der Universität - soweit ich es verstanden habe - in der langjährigen Diskussion mit dem Land Sachsen nicht primär um die Frage Kirche oder Nichtkirche, sondern um die Wiederherstellung der Studierfähigkeit an einem zentralen Ort der Universität, um eine geistige Mitte und der Sicherstellung baulicher Qualität in der Umsetzung. Die "euphemistische Formel" der Vernetzung zwischen den Gebäuden Grimmaische Straße und Grundstück ehemaliges Hauptgebäude verstehen Sie bitte als Hinweis auf die komplexen Funktionszusammenhänge und Baumassengefüge, welche von den Architekten zu lösen sind. Es stehen nicht weniger als 41.007 m² Programmfläche auf dem innerstädtischen Grundstück zur Sanierung und Neudisposition an. Die Aula/Kirche mit genehmigten 800 m² HNF macht gerade 2% der Gesamtmaßnahme aus. Ihr Bedeutungsgehalt ist ungleich größer und in Quadratmetern nicht messbar.
Dennoch droht bis heute die Kirchenfrage die bauliche Erneuerung am Augustusplatz insgesamt zu kippen. Hochschulfördermittel und verbindliche finanzielle Zusagen sind in Zeiten leerer Kassen in Land und Bund flüchtige Wesen geworden. Wir sollten nicht auf eine andauernde Bereitschaft Dritter vertrauen, eine zermürbende und lähmende Diskussion weiterhin mitzutragen. Gegen die Ansprüche der Universität wird niemand hier ein Bauwerk errichten, soweit die Zusage von Land und Stadt.
Alle Argumente sind ausgetauscht. Der Konflikt und die möglichen architektonischen Spannweiten sind beschrieben. Es ist Zeit, dass Fachleute sprechen. Hierzu gibt es für öffentliche Bauaufgaben verpflichtende und geregelte Auswahlverfahren. Es ist gelungen, die Kirchenfrage und die Frage der architektonischen Ausprägung in diesen Entscheidungsprozess zu integrieren. Sollten wider Erwarten die Ergebnisse nicht zufriedenstellend sein, können Sie gewiss sein, dass die Jury die Fragestellung an den Auslober mit deutlichen Empfehlungen zurückgeben wird.

Mit kollegialen Grüßen

Prof. Burkhard Pahl

 


Antwort von Prof. Dr. Stekeler-Weithofer

Sehr geehrte Frau Kollegin,
sehr geehrter Herr Kollege!

In der Anlage erhalten Sie eine Antwort auf einen Brief an alle Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer unserer Universität. Er beruht auf einer Initiative einiger Kollegen und betrifft die Wiederbebauung des Grundstücks der Universitätskirche. Er ist nach meiner Beurteilung für den Entscheidungsprozess deswegen nicht hilfreich, weil er, schon wieder, den Stand der Diskussion und des von der Universitätsleitung erarbeiteten Konsenses unterläuft und eine entsprechende Revision durch eine Art Volksabstimmung per email erreichen will. Daher ist die Artikulation der Gegenstimmen selbst dann wichtig, wenn wir Besseres zu tun haben.

Für Doppelsendungen bitte ich um Verständnis.

Mit freundlichen Grüßen

Professor Dr. Pirmin Stekeler-Weithofer

Antwort

zur Umfrage „Neugestaltung des Grundstückes der Universitätskirche“

Name: P. Stekeler-Weithofer
Fakultät: Soz./Phil.

„Ich befürworte eine kirchennahe Wiederbebauung des Grundstücks der gesprengten Universitätskirche, mit der die Erinnerung an den Verlust in räumlich-architektonischer Form wachgehalten wird.“

NEIN

Persönliche Anmerkungen:

1. Der Satz ist in sich widersprüchlich. Eine kirchennahe Bebauung erhält die Erinnerung an den Verlust gerade nicht wach. Nur in einer Spannung zwischen neuem und altem Gebäude kann man derartige Erinnerungen wach halten – der Rest schläfert ein oder wird, wie in der Neugotik, partiell zum Kitsch.

2. Kubatur und Giebeldach sind schon allein aus ästhetischen Gründen im Kontext von Hochhaus, Campus, Gewandhaus etc. nicht tragbar. Man würde sich des Sieges nicht freuen, wenn man dann das Ensemble längere Zeit gesehen hat. Aber jede Stadt erhält am Ende die hilflos an eine verlorene Vergangenheit gemahnenden Geschmacklosigkeiten, die sie verdient. Ich freilich denke, Leipzig hat diesen geistfreien Umgang mit seiner schwierigen Vergangenheit nicht verdient: Weder wird durch die Kubatur und den Giebel die Sprengung ungeschehen gemacht, noch wird an den barbarischen Akt angemessen erinnert.

3. Ein Giebel zerstört übrigens auch funktional das Ensemble des neuen Campus. Das wird wider besseres Wissen unterschlagen: Es wird der Durchgang in den Obergeschossen unmöglich gemacht.

4. Unbeschadet dieser Tatsachen sollte die Frage der angemessenen Erinnerung durch ästhetisch kompetente und funktional vertretbare Vorschläge optimal beantworten werden. Eine dogmatische Vorbeurteilung, dass dies nur durch Kubatur und Giebel zu geschehen habe, ist dabei nicht hilfreich.

5. Die Formulierung „Das soll und darf eine Nutzung des Gebäudes – auch – als Universitätsaula nicht ausschließen“ zeigt, dass die Vertreter der Kubatur in erster Linie an eine Kirche und nur in zweiter Linie an die Universität und schon gar nicht an die Ästhetik des ganzen Areals denken.

6. Es ist ein bekanntes Mittel der Rhetorik zu sagen, dass man noch weitere Argumente in der Hinterhand habe. Wir alle sind dafür, dass gute Argumente die Sache befördern sollen. Aber das kann nur in einer offenen Debatte geschehen.

 


Reaktion von Prof. Dr. Lux

Sehr geehrte Frau Kollegin Schubert,

haben Sie Dank für Ihre engagierte Reaktion auf unsere Umfrage zur „Neugestaltung des Grundstückes der Universitätskirche". Da ich in den letzten vierzehn Tagen mehrfach unterwegs war, komme ich erst heute dazu, Ihnen zu antworten. Ich erlaube mir, diese Antwort auch denjenigen Kollegen zur Kenntnis zu geben, die Sie durch Ihr Antwortschreiben an der Diskussion beteiligt haben. Bevor ich auf Ihre weiterführenden Vorstellungen zu dem künftigen Neubau eingehe, sind einige Richtigstellungen nötig:
1. Ich kann nicht sehen, dass wir uns mit unserer Initiative von den in allen Gremien der Universität gefassten Beschlüssen einschließlich desjenigen des Senats vom 30.1.2003 grundsätzlich abwenden, in denen die Belange von Studium, Forschung und Lehre als notwendige Leitlinie des Campus-Neubaus festgehalten werden. Dies jedenfalls würde unsere Intention vollkommen verkennen! In den genannten Beschlüssen geht es um die Gestaltung des gesamten Campus am Augustusplatz einschließlich des Grundstücks der ehemaligen Universitätskirche, das nur ein Teilstück davon umfasst. Mir will nicht einleuchten, dass eine architektonische Orientierung der Bebauung dieses Teilstückes an der Kubatur der ehemaligen Universitätskirche mit ihrem Giebeldach den auch von mir durchweg anerkannten Raumbedarf für Studium, Forschung und Lehre grundsätzlich unmöglich machen würde. Bereits im ersten Architektenwettbewerb hat es Entwürfe gegeben, die erkennen ließen, dass die Errichtung eines neuen Campus mit den notwendigen Funktionsflächen unter Einschluss eines von mir angestrebten und an der Kubatur der ehemaligen Kirche orientierten Erinnerungsbaus möglich ist. Allein dies ist mein Anliegen.
2. Nicht alle Gremien der Universität waren und sind der Auffassung, dass diese von uns gewünschte Orientierung des Erinnerungsbaus an der Kubatur der ehemaligen Kirche eine die Interessen und Bedürfnisse der Universität schädigende Lösung wäre. So haben der Fakultätsrat der Theologischen Fakultät in allen seinen Beschlüssen sowie der Predigerkonvent und der Beirat des Universitätsgottesdienstes einschließlich den Vertretern der Universitätsmusik von Anfang an genau diese architektonische Orientierung an der Kubatur der ehemaligen Kirche favorisiert, ohne einen originalgetreuen Wiederaufbau der Kirche zu fordern. Selbstverständlich sind wir nur eine kleine Fakultät innerhalb der Universität, die demokratische Mehrheitsentscheidungen respektiert. Minderheitenvoten sollten aber wenigstens zur Kenntnis genommen werden.
3. Ich ignoriere in keiner Weise die Gründe, die Altmagnifizenz Bigl und seine Prorektoren zum Rücktritt veranlasst haben. Diese Gründe bestanden - soweit mir bekannt ist - weniger in der Frage der künftigen architektonischen und künstlerischen Gestaltung des Areals der ehemaligen Universitätskirche, als in dem Versuch der Staatsregierung, dieses Teilstück aus dem universitären Eigentum auszugliedern und es für einen möglichst originalgetreuen Wiederaufbau der Kirche in fremde Trägerschaft zu überführen. Dieses – auch für mich inakzeptable - Verfahren war nicht allein ein Bruch der Einigung, die durch Altmagnifizenz Bigl in Sachen des ehemaligen Universitätshochhauses zwischen Staatsregierung und Universität ausgehandelt worden war, sondern auch ein nicht hinnehmbarer Eingriff in die Autonomie der Universität und ihre Belange. Wir haben Altmagnifizenz Bigl in unserem Schreiben ausdrücklich für seine konsequente Haltung in dieser Frage gedankt. Die möglicherweise unterschiedlichen Auffassungen zu der architektonischen Gestaltung des künftigen Gebäudes auf dem Areal der ehemaligen Paulinerkirche sollten nicht dazu herhalten, irgendwelche Dolchstoßlegenden zu konstruieren.
4. Davon, dass wir uns mit unserer Initiative gegen den jetzt zwischen Landesregierung, Stadt und Universität ausgehandelten Kompromiss einer Teilneuausschreibung stellen, kann ich nun überhaupt nichts sehen. In diesem Kompromiss wird ausdrücklich festgehalten, dass der auf dem Areal der ehemaligen Universitätskirche zu errichtende Bau funktional als Aula/Kirche, also in dieser Doppelfunktion (!) errichtet werden soll. Dafür sind wir! Darüber hinaus wird unter Punkt 3 der Vereinbarung der Raum für Lösungsmöglichkeiten eröffnet, die „das Spektrum von der Neuinterpretation in einer zeitgemäßen Gestaltung unter Berücksichtigung einer angemessenen Erinnerungshaltung an die ehem. Paulinerkirche bis hin zur Orientierung am historischen Erscheinungsbild der Paulinerkirche“ reichen. Für die letztere mit der Vereinbarung selbst eröffnete Lösung treten wir mit unserer Initiative ein. Wer uns vorwirft, dass wir damit den dankenswerterweise in dieser Offenheit durch Magnifizenz Häuser ausgehandelten Kompromiss unterlaufen, irrt.
Da ich der Auffassung bin, dass der auch von Ihnen gewünschte Diskurs nicht durch gegenseitige Vorwürfe belastet, sondern durch Argumente bereichert werden sollte, möchte ich meinerseits Ihre Gedanken aufgreifen und einige weitergehende Vorstellungen zur Sache äußern: Auch ich halte, das sei noch einmal betont, einen originalgetreuen Wiederaufbau der Universitätskirche für keine angemessene Lösung des Problems, da dieser die Brüche der Geschichte dieses Ortes eher zudecken als offen legen und bewusst machen würde.
Die entscheidende Frage für mich ist die, was eigentlich einen Erinnerungsort zu einem solchen macht. Dazu gehören sicherlich viele Faktoren: neben dem Ort, den geschichtlichen Traditionen, die sich mit ihm verbinden, vor allem wohl lebendige Menschen als Traditionsträger, die diese Traditionen aufnehmen, kritisch reflektieren und weiterführen.
Es geht also auch mir weder um Musealisierung und schon gar nicht um eine falsch verstandene Mythisierung eines Ortes und seiner Geschichte. Da aber Erinnerungsarbeit niemals außerhalb von Raum und Zeit geschieht, sondern an konkreten Orten und im Wandel der Zeiten, so ist sie immer auch mit einem spezifischen Raumprogramm verbunden, das eben den Erinnerungen im eigentlichen Sinne des Wortes Raum gibt und Zeit einräumt. Ein wesentlicher Faktor, der den Erinnerungsort zu einem Ort der Erinnerungsarbeit macht, ist dabei der der Erkennbarkeit. Erkennbar muss er bleiben sowohl in seiner Geschichte und den Traditionen, die sich mit ihm verbinden, als auch in der Funktion, die er übernehmen soll. Genau diese sichtbare Erkennbarkeit vermisse ich in dem Entwurf von Behet& Bondzio fast vollkommen. Das in ihm gemachte Erinnerungsangebot halte ich für völlig unzureichend.
Wenn man weitergehend die Frage stellt, was an diesem Ort eigentlich erinnert werden soll, dann doch wohl neben der bewegten Geschichte des Ortes die schlichte Tatsache, dass an ihm über Jahrhunderte hinweg eine 1968 brutal und sinnlos zerstörte Kirche der Universität Leipzig stand, und dass diese Kirche die symbolische Repräsentation einer derjenigen Wurzeln darstellte, aus denen nun einmal die europäische Wissenschaftskultur hervorging. Das durchaus spannungsvolle Nebeneinander, Ineinander und zuweilen auch Gegeneinander von Universität und Kirche, Wissenschaft und christlichem Glauben stellte das Spezifikum dieses Ortes dar, das in der Verbindung von Paulinerkirche und Augusteum seinen sichtbaren Ausdruck fand. Die Frage, der sich die Universität stellen muss, ist die, ob sie sich für die Zukunft (!) einen Erinnerungsort schaffen möchte, der genau dieses Spannungsverhältnis zwischen Universität und Kirche, Wissenschaft und christlichem Glauben sichtbar erinnert und thematisiert, oder ob sie den einen Pol dieser Geschichte, die Kirche, sowohl in ihrer äußeren Gestalt als auch in ihrem inneren Gehalt verschämt verschweigen und nach außen jedenfalls nicht mehr erkennbar machen will.
Dass angesichts der ethischen und politischen Herausforderungen, vor denen die Menschheit des 21.Jh. und die Wissenschaften stehen, diese Entscheidungsfrage mehr ist als ein Konflikt zwischen Ästhetik und Funktionalität, nämlich eine Problemkonstellation (Wissenschaft – Religion) widerspiegelt, die alles andere als von gestern oder rückwärts gewandt sein dürfte, muss hier wohl nicht eigens betont werden. Ich denke, dass ein an der Kubatur der ehemaligen Universitätskirche orientierter, in seiner künstlerischen und architektonischen Gestaltung und seiner Materialgebung durchaus moderner Neubau, der als Aula und Kirche, für akademische Festakte, Universitätsgottesdienste und Universitätsmusiken sowie als öffentliches Forum für eine geistige Auseinandersetzung über die bedrängenden Fragen der Zeit nutzbar und nach außen hin in seiner markanten Formgebung sichtbar wird, diesem Kriterium der Erkennbarkeit des Ortes als einem Erinnerungsort mit einer großen Tradition in ihren Brüchen und Widersprüchen sehr viel eher gerecht würde als die bisherigen Vorschläge des Entwurfes von Behet&Bondzio. Er würde darüber hinaus einen mutigen Schritt der Universität darstellen, sich genau zu dieser von mir nur angedeuteten Geschichte einer spannungsreichen Beziehung von Wissenschaft und christlichem Glauben ins Verhältnis zu setzen und ihr auch in ihrer äußerlichen Gestalt einen sichtbaren Ausdruck zu geben. Ein moderner Funktionsbau hingegen, der genau von dieser Problemkonstellation nach außen hin überhaupt nichts mehr erkennen lässt, in dem lediglich noch einige „Reliquien“ der ehemaligen Universitätskirche für Kunstliebhaber zur Ausstellung gebracht werden, würde den Aspekt der musealen Erinnerung sehr viel eher bedienen als solch ein von mir gewünschter Erinnerungsbau.
Zum Schluss noch eine Bemerkung zu dem von Ihnen immer wieder so stark betonten Aspekt der Funktionalität des Neubaus als einer Universität der Zukunft. Dass ein Campus-Neubau den Funktionen gerecht werden muss, denen er dienen soll, das sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Über die Funktionen hinaus sollte er aber vor allem den Menschen dienen, die in ihm lehren, lernen und arbeiten werden. Und der Mensch lässt sich nun einmal nicht auf seine Funktionen reduzieren, die er sinnvoll und gewissenhaft wahrzunehmen hat. Zum Menschsein – und meiner Meinung nach auch zur Wissenschaft - gehört mehr als dies, dass sie lediglich funktionieren, etwas leisten und Wissen optimieren. Menschen haben auch ein Recht auf Irrtum, Schwäche und Versagen, auf Endlichkeit und daher nicht zuletzt auf Barmherzigkeit. Es wäre wünschenswert, dass der künftige Neubau nicht nur die ihm zugedachten Funktionen erfüllt, gleichsam in nackter Funktionalität aufgeht, sondern auch etwas von dieser Dimension des Menschseins widerspiegelt, die ich die Dimension der Menschenfreundlichkeit nennen möchte. Sie vor allem dürfte dazu beitragen, dass sich die künftigen Lehrer und Studierenden mit dieser Universität, ihrer sichtbaren Gestalt und ihrem Geist identifizieren können. In diesem Sinne suche ich nach einer Gestalt für den Universitätsneubau, an der sichtbar und ablesbar wird, was der Philosoph Odo Marquard der Moderne ins Stammbuch geschrieben hat: „Menschlichkeit ohne Modernität ist lahm; Modernität ohne Menschlichkeit ist kalt: Modernität braucht Menschlichkeit, denn Zukunft braucht Herkunft.“ Es sollte uns doch gelingen, im Streit der Meinungen eine gemeinsame Plattform zu finden, die genau diesen Marquardschen Maximen gerecht wird.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr
Rüdiger Lux

 

 


Stellungnahme des StuRa

Stellungnahme des StudentInnenRates zum offenen Brief von Prof. Dr. Oldiges, Prof. Dr. Becker-Eberhard, Prof. Dr. Lux und Prof. Dr. Michel zum Umbauvorhaben Augustusplatz

Leipzig, den 09. Oktober 2003

Der StudentInnenRat hat mit Befremden den offenen Brief bezüglich der Neugestaltung der Universitätsgebäude am Augustusplatz zur Kenntnis genommen. Wieder einmal wurden zu diesem Thema die Studierenden, die die größte Nutzergruppe eines zukünftigen Campusgeländes darstellen, sowie der akademische Mittelbau nicht in die Diskussion mit einbezogen. Zum angesprochenen Thema möchten wir dennoch einige Anmerkungen machen:
Wir bedauern die in der Öffentlichkeit auf die Problematik Paulineraula/-kirche beschränkte Diskussion, die den tatsächlichen Anforderungen an ein neues Campusgelände nur zu einem geringen Teil gerecht wird. Warum äußern sich die Autoren nicht zu den zahlreichen funktionalen Fragen, die mit dem Umbauvorhaben verbunden sind, und die wesentlich über die Zukunft und Qualität des Studienstandortes Leipzig bestimmen werden?
Den Argumenten, die eine „kirchennahe“ Baugestalt des zukünftigen Aulagebäudes nahe legen, konnten die Unterzeichner des Briefes keine neuen Aspekte hinzufügen. Die architektonische Dynamik des Augustusplatzes wird schwerlich durch ein Giebeldach wiedererlangt, ist doch die städtebauliche Situation von einer Bebauung des 20. Jahrhunderts geprägt.
Schließlich bedauern wir den Zeitpunkt der Veröffentlichung des offenen Briefes zu diesem sensiblen Moment im Vorfeld des Wettbewerbes, vom dem wir eine Qualifizierung des bisherigen Entwurfs erwarten. Damit wird der mühsam errungene Kompromiss, der eine Neuausschreibung des Bauvorhabens beinhaltet, konterkariert.

Jenny Gullnick - Benjamin Schulz - Tim Tepper
- SprecherInnen des StudentInnenRates -


Antwortschreiben der Evangelischen Studentengemeinde Leipzig

Evangelische Studentengemeinde Leipzig
Alfred-Kästner-Str. 2
04275 Leipzig

An
Magnifizenz Prof. Dr. Häuser,
Prof. Dr. Oldiges,
Prof. Dr. Lux,
Prof. Dr. Michel,
Prof. Dr. Becker-Eberhard und
die Dozenten der Universität Leipzig

 

Neugestaltung der Universitätsgebäude am Augustusplatz

Leipzig, 06.11.03

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Evangelische Studentengemeinde Leipzig begrüßt die Initiative der Professoren Oldiges, Lux, Michel und Becker-Eberhard. Ihren Brief verstehen wir in erster Linie als ein konstruktives Bemühen um die Diskussionskultur an der Universität Leipzig. Wir hoffen, dass sich noch mehr Professorinnen und Professoren, und auch Angehörige des akademischen Mittelbaus und Studentinnen und Studenten beteiligen.

Für den Neubau am früheren Standort der Universitätskirche bekräftigen wir unseren Wunsch nach einer architektonischen Lösung, die auch von außen als Kirche erkennbar ist, welchen wir gemeinsam mit der KSG am 18. April 2002 formulierten.

Als Evangelische Studentengemeinde sind wir der Meinung, dass bei der Entscheidung über das Bauvorhaben, nicht ausschließlich Funktionalität eine Rolle spielen sollte, sondern ebenso künstlerische, menschliche und geistliche Aspekte.

Dabei soll sich der Selbstfindungsprozess der Universität nach dem Ende der zweiten deutschen Diktatur architektonisch widerspiegeln. In Anbetracht der weltpolitischen Situation, mit dem Konflikt zwischen Kulturkreisen und zwischen Religionen, und der dringenden ethischen Fragen in der aktuellen Wissenschaft, halten wir auch eine Auseinandersetzung von Wissenschaft mit Religion gemäß unserer christlichen Wurzeln für wichtig, insbesondere an einer Universität.

Mit freundlichen Grüßen

 

Holger Schmidtchen
Campus-Beauftragter
Frank Jenschke
Gemeinderatsvorsitzender
Stephan Bickhardt
Studentenpfarrer

 


 

Erfreuliche Entwicklung an der Universitaet?

Geschrieben von Dr. H. Schneider am 30. September 2003 18:11:38:

Ich moechte den offenen Brief der Wissenschaftler der Universitaet Leipzig und das Antwortschreiben von Frau Professor Schubert zum Anlass nehmen, mit der Universitaet in Dialog zu treten und hoffe, dass die Universitaet dieses Angebot hier erstmals wahrnimmt.
Die Universitaet hat bereits einen schwierigen Weg hinter sich gebracht, aber sie hat einen noch weit schwierigeren vor sich. Wie konnte es dazu kommen? Vieles liegt – aus kritischer Distanz betrachtet – an der Entscheidungsfindung innerhalb der Universitaet. Soweit bekannt, sprach sich der damalige Rektor Weiss zum ersten Mal 1993 gegen den Wiederaufbau der Unikirche aus, mit dem haltlosen Argument, der Wiederaufbau würde 1 Milliarde DM kosten. Moeglicherweise wurde diese Meinung unterstuetzt von denen, die an der KMU von der Sprengung direkt oder indirekt profitiert haben. Eine historische Aufarbeitung oder eine inner- und ausseruniversitaere Diskussion hat zu diesem fruehen Zeitpunkt verstaendlicherweise noch nicht stattgefunden. Rektor Bigl, obwohl kurzzeitig selber Mitglied im Paulinerverein, fuehlte sich dieser verfruehten Meinungsaeusserung verpflichtet und kann sicher nur selber erlaeutern, wieso er dem Verein zum Wiederaufbau der Unikirche beitrat, und sich dann in so gravierende Konflikte gebracht hat, dass ihm ausser Ruecktritt kein anderer Ausweg mehr blieb.
Dabei darf natuerlich nicht vergessen werden, dass der vermeintliche Sieg, den die Uni dadurch errungen hat, ein klassischer Pyrrhyssieg ist. Die Selbstverwaltung der Universitaet, die nie in Gefahr war, wurde ohne Not in die Waagschale gelegt, um sich gegen 27 international renommierte Nobelpreistraeger zu stemmen. Wieso hat man die Nobelpreistraeger denn nicht zu einem Symposium eingeladen und das Fuer und Wider sachlich diskutiert? Jeder, der sich im wissenschaftlichen Betrieb ein bisschen auskennt, weiss, dass Nobelpreistraeger Multiplikatoren sind, im positiven wie im negativen Sinne. Und dass die Uni Leipzig an diesem damit erzeugten internationalen Negativimage sehr lange, sehr schwer zu tragen haben wird.
Frau Professor Schubert fordert in ihrem Antwortschreiben an die Fakultaeten auf, keine Mythenbildung zuzulassen. Da die Universitaet Leipzig diese Seiten regelmaessig liest, sollte an der Uni bekannt sein, dass hier Gegner wie Befuerworter die mangelnden Informationen durch die Universitaet beklagt haben. Nur so konnte es zu der eklatanten Mythenbildung kommen, dass die Uni im Jahr 1968 bereits bevormundet worden sei. Wo und wann hat die Uni oeffentlich klargestellt, dass dem nicht so war?
Hier muessen sich die Historiker fragen lassen, ob sie nicht in ihrer eigenen Disziplin versagt haben, wenn die Fruechte ihrer Erkenntnisse nicht innerhalb der Universitaet richtig kommuniziert werden und damit ganz massgeblich zur Mythenbildung beigetragen haben. Noch heute fehlt der entscheidende Hinweis auf den Webseiten der Uni, dass der ehemalige Rektor Prof. Georg Mayer den Impuls zur Sprengung gab und dafuer zunaechst fuer sein unsozialistisches Verhalten geruegt wurde. Nach wie vor liest man auf den Webseiten der Uni zum Thema lediglich: “Auf Beschluss der Stadtverordnetenversammlung Leipzig (mit nur einer Gegenstimme) vom 23.05.1968 wird um 10 Uhr die Universitätskirche St. Pauli gesprengt.” Hier waere die Universitaet sicher gut beraten, endlich sachlich ueber ihre juengere Geschichte zu informieren.
Der Universitaet muss doch mittlerweile auch bewusst sein, dass insbesondere bei den Opfern, also denjenigen, die von der Universitaet entlassen wurden und denen, die von der Stasi aufgrund ihres Widerstands gegen diese Entscheidung verfolgt und/oder verhaftet und verurteilt wurden, der Zweifel an der Aufrichtigkeit ihres Handelns solange nicht beseitigt ist, solange an solch wichtigen Punkten unsachlich vertuscht und nicht sachlich informiert wird, wie es von einer akademischen Einrichtung erwartet wird.
Aus meiner Sicht waere es endgueltig an der Zeit, dass die Uni und ihre Leitung begreift, dass die Unikirche keine Bedrohung, sondern ein Stueck von ihr selber ist. Dass Architekten mit der Erinnerung an die Kirche, an deren Sprengung und an den Widerstand gegen die Sprengung mit einer Aula ueberfordert sind, haben die letzten drei Wettbewerbe wohl zur Genuege gezeigt. Solange die Uni sich nicht ihrer Verantwortung stellt, sachlich ueber die Vergangenheit und Gegenwart informiert und demokratische Diskussionen fuehrt, bei denen das Ergebnis der Diskussion nicht von vornherein feststeht, werden immer wieder Menschen den Wiederaufbau der Unikirche fordern. Dass Frau Prof. Dr. Schubert dies “mit grosser Betroffenheit” und “mit Bedauern” feststellt, laesst mich vermuten, dass sie die akademisch geforderte Distanz noch nicht gefunden hat.
Ich wuerde mir wuenschen, dass der Dialog innerhalb der Universitaet endlich auch einmal mit der Aussenwelt gefuehrt wird und freue mich auf Antworten von der Universitaet.


Argumente

Ich moechte den Briefen von Prof. Dr. Stekeler-Weithofer, Prof. Dr. Pfahl und Prof. Dr. Bigl einige Argumente entgegenstellen, die meiner Meinung nach noch nicht allen bekannt sind - oder von manchen gerne ignoriert und/oder nicht verstanden werden.

Der gegenwaertig veroeffentlichte Konsens der Universitaet lautet wie folgt: "Die Vorgaben fuer den Bereich des ehemaligen Standortes der Paulinerkirche werden so offen gehalten, dass die Loesungsmoeglichkeiten das Spektrum von der Neuinterpretation in einer zeitgemaessen Gestaltung unter Beruecksichtigugn einer angemessenen Erinnerungshaltung an die ehemalige Paulinerkirche bis hin zur Orientierung am historischen Erscheinungsbild der Paulinerkirche umfassen."

Auch wenn immer wieder anderes behauptet wird, bedeutet dies, dass es keinen Entschluss gegen die Universitaetskirche gibt, sondern, dass diese sehr wohl wiederaufgebaut werden kann.

Wenn nun Prof. Dr. Schubert, Prof. Dr. Stekeler-Weithofer, Prof. Dr. Pfahl und Prof. Dr. Bigl behaupten, dass es einen Beschluss gegen den Wiederaufbau der Universitaetskirche gegeben haette, so sind sie entweder nicht auf dem neuesten Stand und werden derzeit von den Fakten eingeholt, oder sie streuen bewusst die Unwahrheit, um das Ergebnis in eine bestimmte Richtung zu lenken.

Manche Briefe haben geradezu etwas Beschwoerendes an sich, was auch Aussenstehenden sicher einen guten Einblick gibt, wie Demokratie an der Universitaet Leipzig gegenwaertig praktiziert wird. In solchen Faellen fuehle ich mich immer wieder an die Worte eines aus Westdeutschland stammenden Dekans erinnert, der es als einen der besonderen Vorzuege der Leizpiger Universitaet dargestellt hat, dass der Widerspruch gegen einmal ausgesprochene Entscheidungen "von oben" doch im Gegensatz zu westdeutschen Universitaeten vernachlaessigbar sei.

An Prof. Dr. Stekeler-Weithofer faellt vor allem auf, dass er vor lauter Uebererregung nicht mehr klar zu denken scheint. Nur so kann ich mir die fuer einen Philosophieprofessor recht laienhaften Kommentare erklaeren: Bisher konnte mir noch kein Gegner der Kirche erlaeutern, wieso ein Flachdach mehr an die Sprengung der Kirche und – genauso wichtig- die bis zum Jahre 1968 seit 728 Jahren dort stehende Paulinerkirche selber erinnern soll. Genausowenig spielen bei vielen Kirchenwiederaufbaugegnern die Widerstaende gegen die Kirchensprengung und die Erinnerung an diesen Widerstand eine Rolle. Eigentlich muesste die Uni Leipzig aehnlich stolz wie die Ludwigs-Maximilians-Universitaet in Muenchen sein, dass sie in ihren Reihen Widerstaendler beherbergt hat. Aber was tut die Uni Leipzig heute mit diesen Widerstaendlern? Sie erwaehnt sie nicht und wie zwischenzeitlich bekannt wurde, sie klagt sie an, weil sie sich nach wie vor fuer den Wiederaufbau der Unikirche einsetzen.

Man stelle sich vor, Hans und Sophie Scholl waeren nicht exekutiert worden und haetten erleben duerfen, wie nach dem 2. Weltkrieg ihr Widerstand gegen die Nazis entweder verharmlost oder geleugnet worden waere. Als was fuer einen Skandal haette man es wohl empfunden, wenn die beiden sogar von der LMU nach Beendigung der Diktatur von der Leitung der LMU angezeigt worden waeren, weil sie auf ihren Widerstand aufmerksam gemacht haetten.

Es ist wohl die Berechnung aller Wiederaufbaugegner, den Widerstand gegen die Sprengung nicht in Ihr Erinnerungsvorhaben zu integrieren. Denn spaetestens an diesem Punkt findet man nicht den geringsten Anhaltspunkt, wie die Uni mit dem stolzen Teil ihrer Geschichte umgehen moechte. Wie kann es zu einer solchen Verrueckung kommen? Ich moechte vorschlagen, dass eine Replik des Plakatprotestes auf jeden Fall –gerade auch im Falle einer Flachdachloesung in der Aula ausgestellt werden muss, um die Erinnerung an den Widerstand fuer die folgenden Generationen in gebuehrender Weise wachzuhalten. Das koennte dann tatsaechlich spannend werden, wie die nachfolgenden Generationen darauf reagieren. Sicher sollten dann auch die heutigen Hausverbote und Gerichtsverfahren genannt werden, um den Entscheidungsprozess wahrheitsgemaess zu reflektieren.

Wie man an die 728-jaehrige Geschichte der Paulinerkirche erinnern will, ist aus der Flachdachloesung auch nicht ersichtlich. Die Geschichte der Paulinerkirche ist aelter als die der Universitaet Leipzig. Vielleicht sollte man auch einmal unter diesem Aspekt versuchen, zu erlaeutern, wie man an die in der Paulinerkirche erfolgte Gruendung der Universitaet angemessen erinnern will, wenn jede aeussere Erinnerung daran moeglichst ausgeschlossen werden soll.

Wie zum Beispiel vermag das neue geisteswissenschaftliche Zentrum an das alte Gewandhaus zu erinnern? Wieso wurde die Paulinerkirche/Universitaetskirche in Goettingen als Universitaetsbau nach deren Zerstoerung im 2. Weltkrieg wiederaufgebaut und vermag sehr wohl an die alte Paulinerkirche zu erinnern. Wo sind die Belege dafuer, dass die Paulinerkirche in Goettingen als partieller Kitsch vorverurteilt worden sei? Es mag sein, dass ich da eine Bildungsluecke habe, die ich gerne mit Informationen schliessen moechte, die ich von der Gegnerschaft der Leipziger Paulinerkirche jedoch noch nicht vernommen habe. Vielmehr ist es doch so, dass gerade die Goettinger Paulinerkirche als "Schatzkammer" der Goettinger Universitaet bezeichnet wird, auch wenn keine einzige Rippe des Gewoelbes original ist.

Wie kann es also in Leipzig partieller Kitsch sein, was in Goettingen als praktizierte Erinnerung gilt? Ich wuerde gerne eine einzige Publikation lesen, die die Kitschigkeit der wiedererbauten Goettinger Paulinerkirche oder der wiedererbauten Frankfurter Paulskirche ausfuehrlich darlegt. Oder handelt es sich dabei nur um eine der bekannten Polemiken, mit denen man so gut Stimmung machen kann, die aber auch geschickt von den wahren Ablehnungsgruenden ablenken (sollen).

Die Versaeumnisse der ersten Jahre nach 1989 sind vielleicht verstaendlich. Dass sie sich aber bis ins Jahr 2003 fortpflanzen, ist meines Erachtens unter der Beruecksichtigung der Verstrickung der Leipziger Universitaet in die Ereignisse von 1968 zu verstehen. Erwartungsgemaess findet auch diese in keinem der o.g. Briefe Erwaehnung. Dabei waere es doch mittlerweile an der Zeit, diese juengere Vergangenheit genauer zu beleuchten. Man moechte der Uni Leipzig gerne die Peinlichkeit ersparen, die jetzt erst wieder die Deutsche Forschungsgemeinschaft ereilt hat, als sie in der letztwoechigen Ausgabe der Nature von Historikern fast 60 Jahre nach dem 2. Weltkrieg als Nazi-Organisation entlarvt wurde und gleichzeitig festgestellt wurde, dass die zuvor stattgefundene Verblendung und Verharmlosung historisch nicht laenger zu halten sind. Sollte man diese kuerzlich gemachten international eher beschaemenden Erfahrungen nicht zu verhindern suchen?

Prof. Pahl moechte man entgegnen, dass die letzten 3 Ausschreibungen – in Zeiten knapper Mittel allemal – genug Beweis dafuer sind, dass die architektonischen Ergebnisse vernichtende Bewertungen, letztlich auch dokumentiert in dem fehlenden ersten Platz, erhalten haben. Die Fachleute koennen nur dann hervorragende Loesungen produzieren, wenn sie es gewohnt sind, interdisziplinaer zu arbeiten und sich mit den geschichtlichen Gegebenheiten der Universitaet Leipzig, also der 728 Jahre dauernden Geschichte der Paulinerkirche, die ueber die Geschichte der Universitaet Leipzig weit hinausgeht, der politisch motivierten Sprengung, an der die Universitaet wesentlich beteiligt war, dem Widerstand der Leipziger Studenten und Mitarbeiter der Universitaet gegen diese Sprengung und der darauffolgenden Entlassungen von der Universitaet Leipzig ebenso wie der Verhaftungen der greifbaren Widerstaendler, auseinandersetzen. Dass dies bisher nicht in zufriedenstellender Weise geschehen ist, musste auch die Jury zugeben. Wieso gab es bislang keine deutlichen Empfehlungen – in Zeiten knapper Mittel – moechte man daher erfragen? Welcher Fachmann zeichnet denn verantwortlich fuer diese Unfaehigkeit, bisher deutliche Empfehlungen auszusprechen? Wollen Sie dafuer die Verantwortung uebernehmen, Herr Prof. Pahl, oder soll das dann lieber doch ein anderer Fachmann sein? Und wer waere das?

An Prof. Bigl’s Aeusserungen faellt mir besonders auf, dass er sich gerne auf Beschluesse bezieht, die so nicht gefasst worden sind und dann versucht, jede oeffentlich gemachte Meinungsaeusserung mit der Selbstverwaltungskeule zu erschlagen. Das erste Mal mag das noch wirkungsvoll gewesen sein, mittlerweile wirkt es doch eher aermlich. Niemand, der sich fuer den Wiederaufbau der Paulinerkirche einsetzt, will auch nur ansatzweise in die Selbstverwaltung der Universitaet eingreifen. Die Selbstverwaltung der Universitaet ist per Gesetz geregelt und ist von niemandem angegriffen worden. Waere es tatsaechlich zu einer Verletzung der Selbstverwaltung gekommen, haette Prof. Dr. Bigl sicher rechtsstaatliche Mittel eingelegt und diejenigen verklagt, die sich seiner Meinung nach nicht im Rahmen des Gesetzes bewegt haben. Dies ist aber meines Wissens nicht geschehen, weshalb man wohl von einer gelungenen Finte ausgehen kann.

Der von Bigl vorgetragene Verweis auf die derzeit mit Skandalen stark belegte Stadtverwaltung ist eher kontroproduktiv und insofern amuesant. So schnell koennen einen die Ereignisse einholen.

Zum Schluss moechte man noch einmal erwaehnen, dass Prof. Bigl selbst einmal freiwillig Mitglied des Paulinervereins war. Seinen Weggang hat Prof. Bigl freilich aehnlich oeffentlichkeitswirksam inszeniert wie seinen Ruecktritt als Magnifizienz der Universitaet Leipzig. Es ist Prof. Bigl sicher nicht bewusst, dass er als ehemaliges Mitglied des Paulinervereins durch sein geradezu trotzig anmutendes Verhalten und die nicht vorhandene Bereitschaft, sachliche Argumente auszutauschen, der Universitaet international Schaden zugefuegt hat.

Die Wunden, die Prof. Bigl dadurch ohne Not dem internationalen Ansehen der Universitaet Leipzig zugefuegt hat, werden ohne den Wiederaufbau der Paulinerkirche nicht zu heilen sein. Prof. Bigls Verhalten schadete nicht nur seinem Ansehen, sondern auch dem Ansehen der Universitaet Leipzig. Die internationale Fachwelt schuettelt den Kopf ueber soviel akademischen Starrsinn.

Sollte unter dem Deckmaentelchen der Moderne verborgene Starrsinnigkeit der letzte Eindruck bleiben, der von der Universitaet Leipzig aus in die Welt gesendet wird? Man moechte hoffen, dass die Einsicht am Ende doch noch siegt, auch wenn sie hart errungen sein wuerde.

In diesem Sinne wuensche ich der Universitaet viel Einsicht und akademische Offenheit, die notwendig ist, um die Universitaet erfolgreich durch die naechsten Jahre und Jahrzehnte zu fuehren.

 

Dr. H. Schneider


Horst Stephan in der Leipziger Volkszeitung

"es ist in der Tat eine interessante Frage, was die nicht benannten Hinderungsgründe sind. Ich nehme an, dass Sie meine Auffassung teilen, dass beinahe alle von der Universität benannten "Gegenargumente" keine wirklichen Argumente sind, was auch daran erkennbar ist, dass sie völlig frei flottieren und ohne Grund einander abwechseln. Ich meine, dass das Antwortschreiben von Prof. Ch. Schubert auf den sehr zahmen Brief - immerhin! - der Professoren Lux, Oldiges etc. deutlich werden lässt, worum es eigentlich geht. Es geht nicht um Nutzungsanforderungen oder Kosten. Es geht letztlich auch nicht um die abstrakte Frage nach der rechten Erinnerung.
Es geht letztlich um eines: um die (Nicht-)Akzeptanz eines baulich sichtbaren Ausdrucks christlichen Glaubens bzw. der christlichen Geschichte dieser Universität.
Ich halte die Debatte um die Paulinerkirche für eine paradigmatische Debatte. Der Antwortbrief von Prof. Schubert zeigt, dass das historische Koordinatensystem, in dem sie sich orientiert über die "Traditionslinie 1968-1989-2009" nicht hinausreicht.
Paradigmatisch daran ist, dass die historische Bedingtheit des gegenwärtigen kulturellen und ethisch-normativen Gefüges letztlich bestritten wird und ersetzt wird durch den Blick "nach vorn". Ausschließlich gegenwärtige (Legitimations-)Interessen bestimmen die Wahrnahme der Geschichte. Es handelt sich wohl um eine neue Form der selektiven "Aneignung des kulturellen Erbes". Die auffallenden Parallelen in der Fortschrittsrethorik der Universitätsleitung zu nicht allzu lang vergangenen Zeiten ist kein Zufall."

Das "Es geht letztlich um eines: um die (Nicht-)Akzeptanz eines baulich sichtbaren Ausdrucks christlichen Glaubens bzw. der christlichen Geschichte dieser Universität." scheint wohl wirklich der Grund fuer die Ablehnung mancher zu sein.


 

Dr. Dietrich Koch
Kurfürstenstraße 43
45479 Mülheim
PD Dr. Eckhard Koch
Neulußheimer Straße 52
01465 Dresden

 

Frau Professor Dr. Charlotte Schubert
Historisches Seminar des Lehrstuhls für Alte Geschichte

Universität Leipzig
Beethovenstraße 15

04107 Leipzig

8. Oktober 2003

OFFENER BRIEF

Neugestaltung des Grundstückes der Universitätskirche

Sehr geehrte Frau Professor Schubert,

wohltuend am Brief von Herrn Professor Oldiges und Kollegen ist zunächst, daß er die unselige Konfrontation zwischen der Autonomie der Leipziger Universität und einer angeblichen Fremdbestimmung durch die sächsische Staatsregierung auflöst. Nun bauen Sie leider eine neue Schein-Opposition auf zwischen einem kirchennahen Bau einerseits und Funktionen einer Universität der Zukunft andererseits, nämlich den Anforderungen der bestehenden Studienreform, moderner Forschungsstrukturen und dem internationalen Engagement der Universität. Ganz unbestritten ist, daß der Campus-Neubau in erster Linie den universitären Belangen von Studium, Forschung und Lehre genügen muß. Aber eine Wiedererrichtung der Universitätskirche steht dem in keiner Weise entgegen. Denn gebaut werden soll ohnehin eine Aula, die auch für Universitätsmusik, Universitätsgottesdienst, Predigerausbildung und Heimstatt der Kunstschätze dienen soll. Es geht also lediglich um die Gestalt dieses Aulagebäudes. Die gesprengte Universitätskirche erbat sich 1543 Rektor Caspar Borner vom Kurfürsten als Geschenk zur Verwendung als säkulare Aula der Universität (regelmäßige Universitätsgottesdienste fanden erst 170 Jahre später statt). Und eben diese Funktion als Aula soll sie wieder haben. In den 1999 durch das Konzil der Universität beschlossenen Leitlinien heißt es: "Für akademische Feierlichkeiten und Gottesdienste wird eine repräsentative Aula errichtet." Warum nur darf diese nicht die Gestalt der Universitätskirche erhalten?

Sehr geehrte Frau Professor Schubert, Sie schreiben, daß ein originalgetreuer Wiederaufbau von niemandem mehr gewünscht werde, auch nicht vom Paulinerverein, dessen Vertreter dies in einer Diskussion am 28.5.2003 deutlich bestätigt hätten. Zunächst einmal freut es uns, daß sie in diesem Argument implizit den Paulinerverein als eine Instanz des historischen Gewissens der Leipziger Universität anerkennen. In der Sache freilich hält der Paulinerverein an seiner Forderung nach einem weitgehend originalgetreuen Wiederaufbau im inneren und äußeren fest. Er hat seine Forderung - so wie er dies im Februar Staatsminister Dr. Rößler gegenüber zum Ausdruck gebracht hat, im Interesse der besseren Erfüllbarkeit moderner Funktionsanforderungen der Universität dahingehend reduziert, daß auf Zutaten des Barock und des 19. Jahrhunderts verzichtet werden kann. Das ist lediglich als eine Spezifizierung des "originalgetreuen" Wiederaufbaus zu verstehen. Es mag natürlich einzelne geben, die sich, zu Recht oder Unrecht, als Mitglieder des Paulinervereins ausgeben und die auf einen originalgetreuen Wiederaufbau verzichten; aber niemand, der berechtigt ist, den Paulinerverein zu vertreten, kann etwas derartiges geäußert haben. Wir bitten Sie deshaln uns mitzuteilen, auf was für angebliche Vertreter des Paulinervereins Sie sich berufen.

Sie meinen, daß eine Rekonstruktion nur "zur Schaffung einer hypothetischen Geschichte dienen könne". Es ist allerdings ein arges Mißverständnis, den Befürwortern eines Wiederaufbaus zu unterstellen, sie wollten die Geschehnisse von 1968 ungeschehen machen und die Kirche wieder aufbauen, um den Anschein zu erwecken, sie sei nie gesprengt worden. Sie soll vielmehr ausdrücklich wiedererrichtet werden als ein Nachbau, als Replik, die erlebbar macht, welche Schönheit kulturbarbarisch vernichtet wurde, die nicht nur erinnert, sondern wiedergutmacht. Dabei bedeutet Wiedergutmachung regelmäßig nicht, die vergangene Zerstörung zu vertuschen. Niemand käme auf die Idee zu behaupten, der Wiederaufbau von Warschauer Stadtschloß, Würzburger Residenz oder Frauenkirche wolle sich des 2. Weltkrieges "entledigen". Warum nur argumentieren Sie bei der Universitätskirche so? Ein Wiederaufbau, der sich ausdrücklich dazu bekennt Kopie zu sein, stellt nicht den Zustand von 1968 wieder her, sondern ist das Ergebnis eines dialektischen historischen Prozesses: Nach dem Originalbau und dessen Zerstörung entsteht als Synthese eine Kopie, die die Schönheit und Bedeutung des Originals und auch die Zerstörung auf der Synthese-Ebene der Kopie im Sinne Hegels "aufhebt". Sie ist nicht Ausdruck einer "hypothetischen Geschichte", sondern sinnenhaft erlebbare reale Geschichte, nämlich des Sieges der friedlichen Revolution von 1989 über die SED-Diktatur.

Der Augustusplatz als Ganzes ist nicht wiederherstellbar. Das verlangt der Paulinerverein auch nicht. Die vorgesehene Neugestaltung der Gebäude links und rechts der Universitätskirche bietet die Möglichkeit, ihre Sonderstellung als Nachbau deutlich zu machen. Aber auch der Nachbau selbst kann dies, da nicht die sklavische Kopie jedes Details angestrebt ist. So wird der Verzicht auf Hinzufügungen des 18. und 19. Jahrhunderts im Interesse moderner Funktionsanforderungen oder der dekonstruktivistische Vorschlag Erich Loests, einen Riß in die Fassade einzubauen, dem Vorwurf, sich der Geschichte entledigen zu wollen, entgegenwirken.

Wir haben 2001 - außerhalb des Paulinervereins - eine Synthese aus Wiederaufbau im Äußeren und Wiederaufbau des Chores, abtrennbar verbunden mit einem nichtoriginalgetreuen Bau des Schiffes vorgeschlagen. Obwohl dieser Vorschlag alle Funktionsanforderungen zu erfüllen gestattet und die Brüche der Geschichte sichtbar macht, richtete sich dagegen wütender Protest der Universität, der freilich bis heute nicht ein einziges Argument gegen diesen Vorschlag enthielt. Dies legt den Schluß nahe, daß die Einwände von Nutzererfordernissen bis zu hypothetischer Geschichte nur vorgeschoben sein könnten. Wir würden von Ihnen gerne wissen, wie Sie das sehen.

Sie schreiben schließlich, daß keine neue Mythenbildung gefördert werden solle. Wir wüßten schon gern, welche Mythenbildung denn Ihrer Meinung nach durch einen weitgehend originalgetreuen Wiederaufbau der Universitätskirche gefördert würde und bitten Sie um eine Konkretisierung dieser reichlich abstrakten Formulierung.

Wir sehen im Gegenteil, daß ein Nicht-Wiederaufbau der Universitätskirche zu einer andauernden Belastung des Ansehens der Leipziger Universität führen würde: Sie habe sich der Mitschuld am Sprengungsbeschluß (der letztlich auf der Rektorprofessor Georg Mayer zurückgeht) nicht gestellt, sie habe in der gegenwärtigen Strömung einer beschönigenden DDR-Nostalgie einen ihrer kulturbarbarischen Akte herunter spielen wollen, nicht zuletzt durch die persönliche Verstrickungen von Angehörigen der Universität in die Sprengungsgeschichte von 1968, und sie habe Wiedergutmachung verweigert und die Opfer mißachtet. Man mag dies dann für Mythenbildung halten; aber es wird ein wahrer Mythos sein. Ihnen als Angehöriger der Leipziger Universität und uns als Absolventen und ehemaligem Angehörigen liegt doch die Reputation der Universität am Herzen. Sehen Sie denn eine andere Möglichkeit, diesem bleibenden Schaden für die Leipziger Universität anders als durch den Wiederaufbau zu entgehen?

Über Ihre Antwort würden wir uns freuen.

Mit freundlichen Grüßen

Dietrich Koch Eckhard Koch

Offener Brief von Dr. Dietrich Koch an Professor Dr. Volker Bigl

Dr. Dietrich Koch

 

Universität Leipzig
Altmagnifizenz Professor Dr. Volker Bigl

OFFENER BRIEF

Mülheim an der Ruhr, 4.11.2003

Sehr geehrter Herr Professor Bigl,

in Ihrem Antwortschreiben auf den Brief von Professor Oldiges und Kollegen fällt mir auf, daß Sie einen besonders gewichtigen Grund gegen einen Wiederaufbau der Universitätskirche St. Pauli vollständig unerwähnt lassen: den im Jahre 2001 von der Universität Leipzig mit der Immobiliengesellschaft MIB geschlossenen Vertrag, nach dem die Universität große Flächen zur kommerziellen Nutzung langfristig verpachtet hat, was auch das Grundstück der Universitätskirche tangiert.

Ich habe mich manchmal gefragt, warum Sie eigentlich gegen den Wiederaufbau der Universitätskirche sind. In den Gesprächen mit Ihnen habe ich keine Antwort gefunden.

Im Herbst 2000 hatte ich mein Buch "Das Verhör. Zerstörung und Widerstand" mit einem Erfahrungsbericht über meine Stasihaft und meine Verurteilung wegen der Forderung von 1968 nach Wiederaufbau der Universitätskirche veröffentlicht. Zu einer Buchlesung im Frühjahr 2001 im Zeitgeschichtlichen Forum hatte ich Sie persönlich eingeladen. Zu meiner Freude kamen Sie auch. Sie saßen in der ersten Reihe. Inzwischen hatte die Universitätszeitung zu Vorschlägen zum Neubau der Unigebäude am Augustusplatz aufgefordert. Zusammen mit meinem Bruder Eckhard Koch entwickelte ich einen Kompromißvorschlag: Unter der äußeren Gestalt der Universitätskirche wird der Hauptchor (als Kapelle) wiedererrichtet, abtrennbar verbunden mit einer modernen Aula, unter der äußeren Gestalt der Universitätskirche. Ich trug diesen Vorschlag im Zeitgeschichtlichen Forum vor und bat Sie mehrmals vom Podium aus, dazu Stellung zu nehmen. Aber Sie schwiegen. Auch in dem Gespräch mit Ihnen in der Pause konnte ich keine konkrete Stellungnahme erhalten. Diesen Vorschlag habe ich mit zahlreichen Universitätsangehörigen - Professoren, Assistenten und Studenten -, Leipziger und Dresdner Politikern und Leipziger Baufachleuten besprochen. Die daraus gefertigte Denkschrift mit dem Kompromißvorschlag erfreute sich starker Nachfrage. Ich mußte bald zwei Nachauflagen drucken lassen. Dem Paulinerverein allerdings, dessen Mitglied ich damals noch nicht war, ging unser Vorschlag zu weit in Richtung Kompromiß. Als die LVZ dann über diesen Vorschlag ausführlich berichtete, reagierten Sie harsch abweisend. Das überraschte mich, da unser Vorschlag alle Anforderungen gemäß dem Konzilsbeschluß der Universität erfüllt, und ich eher erwartet hatte, daß Sie ihn als praktikablen Kompromiß aufgreifen. Gründe für die Ablehnung durch die Universität sind mir bis heute nicht bekannt. Die Universitätszeitung, die zu Vorschlägen aufgefordert hatte, verschwieg unseren ihr zugesandten Vorschlag. Mittlerweile konnte ich nur vermuten, daß es der Universität vor allem darum gehe zu verhindern, daß die Universitätskirche wieder im Stadtbild Leipzigs sichtbar wird.

Bei meinen Gesprächen machte ich merkwürdige Erfahrungen: Wichtige Universitätsangehörige hatten sich in 4- bzw. 6-Augen-Gesprächen für den Wiederaufbau ausgesprochen, äußerten aber später öffentlich das Gegenteil. Einer meinte gar, wenn er sich gegen die Pläne der Universitätsleitung ausspreche, könnte ihn ein Disziplinarverfahren erwarten und er seine zukünftige Pension verlieren. Es kommt mir so vor, daß das schwerwiegende und in dieser Frage nicht zu vernachlässigende Folgen jahrzehntelanger DDR-Sozialisation sind.

Manchmal habe ich mich gefragt, ob Sie vielleicht in eine Entscheidung gegen den Wiederaufbau hineingerutscht sind? Schon Ihr Vorgänger Altmagnifizenz Professor Cornelius Weiß hatte mit der unsinnigen Behauptung, der Wiederaufbau würde eine Milliarde Mark kosten, eine Weiche gestellt. Und Sie, Herr Professor Bigl, hatten dann ungeeignete Berater.

Ein bekannter Leipziger Baufachmann erklärte mir kürzlich, wie solche Entscheidungen zustande kommen. Sie ließen sich beraten von einem jüngeren aus dem Westen stammenden Architekturprofessor der Universität, der - wie mir ein Kollege sagte - sich ein Gebäude nur als Kubus mit einem Flachdach vorstellen kann. Nun möchte ich nicht die fachliche Kompetenz von Professor Pahl als Architekt in Zweifel ziehen. Aber bei der Frage nach dem Wiederaufbau geht es um eine erinnerungspolitische Aufgabe. Und mir ist nicht bekannt, daß Professor Pahl mit Arbeiten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur in Erscheinung getreten wäre. Fachleute für diese Aufgabe wären einschlägig arbeitende Zeithistoriker und Widerstandskämpfer gegen das DDR-Unrecht gewesen. Solche haben Sie aber nicht in die zuständige Kommission berufen, statt dessen aber den Kunsthistoriker Professor Topfstedt. Auch dessen kunsthistorische Kompetenz, insbesondere zum sozialistischen Städtebau in der DDR, möchte ich nicht bezweifeln. Aber Topfstedt ist jahrzehntelanges ehemaliges SED-Mitglied. Am Tage der Sprengung am 30. Mai 1968 soll er Leipziger Kunstgeschichtsstudenten in einer zusätzlichen Veranstaltung "gebunden" haben, damit sie nicht auf den Karl-Marx-Platz gehen konnten, berichtete mir eine damals anwesende Kunstgeschichtsstudentin. Diese Vorgänge sind nicht ausreichend geklärt. Jedenfalls ist es schon wegen der Besorgnis der Befangenheit wenig glücklich, daß Sie gerade Professor Topfstedt zum Vorsitzenden einer Kommission gemacht haben, die etwas mit der Wiedergutmachung einer Schande der SED-Diktatur zu tun hat. Ich kann nicht glauben, daß es niemanden an der Leipziger Universität gab, der frei von SED-Verstrickungen ist. Nachdem Sie mit diesem Kommissionsvorsitz den "Bock zum Gärtner" gemacht hatten, war Ihre Vorentscheidung gegen den Wiederaufbau der Universitätskirche getroffen.

Ich glaube nicht, daß Sie zu den "roten Socken" gehören, die in der Sprengung die eigentliche Leistung der sozialistischen DDR sehen und den Wiederaufbau aus DDR-Sympathie verhindern wollen. Vielleicht, so könnte ich mir vorstellen, haben Sie sich den Wiederaufbau insgeheim einmal gewünscht, aber aus Kenntnis mancher Ihrer Kollegen aus DDR-Zeiten für unrealisierbar gehalten. Der Paulinerverein hatte einen Traum, der jahrelang für unrealistisch gehalten wurde. Und nun, wo die Verwirklichung nach dem Beschluß der Landesregierung im Frühjahr 2003 möglich geworden war, hatten Sie sich schon gebunden. Nach meinem Vortrag im Zeitgeschichtlichen Forum hatte ich Ihnen vor Augen gestellt, daß Sie mit einer mutigen Entscheidung, sich für den Wiederaufbau einzusetzen, einer der großen Rektoren der Leipziger Universität werden könnten, an die man sich noch nach Jahrhunderten erinnert. Aber Sie waren wohl zu unentschlossen. Auf mich wirkten Sie merkwürdig unfrei.

Erst später erfuhr ich, daß die Universität bereits im Jahr 2001 einen Vertrag mit dem Investor MIB abgeschlossen hat. Danach verpachtet die Universität mehrere tausend Quadratmeter innerhalb des Ringes an diesen. Nachträglich fügten sich in dieses Bild nun auch einzelne Informationen, die zuvor schon in der LVZ und im Internet gestanden hatten.

In der Folgezeit sind an mich weitere Einzelheiten herangetragen worden, von denen ich nicht im einzelnen prüfen konnte, ob sie zutreffen:

MIB sei im Jahr 2001 in einem Auswahlverfahren als Investor bestimmt worden. MIB sei der einzige Kandidat gewesen. Die Bezeichnung "Auswahlverfahren" erinnert mich damit an die Bedeutung von "Wahl" in der untergegangenen DDR. In dem Vertrag mit MIB habe die Universität etwa 4700 Quadratmeter am Augustusplatz und an der Grimmaischen Straße für 99 Jahre an MIB verpachtet. Dazu gehöre auch das Grundstück des ehemaligen Cafes Felsche, das die Stadt zuvor nach dem Investitionenvorranggesetz für die Universität verfügbar gemacht habe. Das Grundstück der Universitätskirche sei durch diesen Vertrag betroffen. Der zuständige Abteilungsleiter des Finanzministeriums, dessen Name mir genannt wurde, habe aber die erforderliche Genehmigung verweigert, insbesondere, da die finanziellen Bestimmungen des Vertrages ungenügend seien. Der Vertrag habe deshalb nicht notariell beglaubigt werden können, so daß er schwebend unwirksam sei. Nichtsdestotrotz wurden die Bestimmungen über die kommerzielle Nutzung der Flächen in diesem Vertrag durch MIB in die Ausschreibung des folgenden Architektenwettbewerbs aufgenommen, und Herr Tillman Sauer-Morhardt, der Vorstandsvorsitzende von MIB, wurde zum Sachpreisrichter in diesem Wettbewerb ernannt. Er soll dem Vernehmen nach auch in dem jetzigen Ergänzungswettbewerb wieder Sachpreisrichter sein, so daß man sich dessen Ergebnis vorstellen kann. Auch hier möchte ich hinzufügen, daß dies auf mich bestenfalls wie eine ungünstige Verwicklung von Interessen, wenn nicht sogar wie ein massiver Interessenkonflikt wirkt.

Herr Professor Bigl, Sie sprechen in Ihrem Brief von der vertrauensvollen Zusammenarbeit mit dem Leipziger Oberbürgermeister. Ein Ergebnis ist offenbar, daß das Grundstück des ehemaligen Cafes Felsche mit in den Vertrag mit MIB einbezogen wurde. Im Zusammenhang mit der Olympiabewerbung Leipzigs sind nun in den letzten Tagen und Wochen höchst unerfreuliche Dinge in der Zusammenarbeit verschiedener Gesellschaften auch mit der Stadt Leipzig zutage getreten, die zu mehreren Rücktritten beziehungsweise Entlassungen geführt haben. Hier wäre mehr Transparenz angebracht gewesen. Schon diese Vorgänge verlangen auch für den Vertrag mit MIB und die Involvierung des Oberbürgermeisters volle Transparenz.

Das, was bisher über den Vertrag mit MIB in die Öffentlichkeit gelangt ist, legt den Schluß nahe, daß dieser einen Wiederaufbau der Universitätskirche unmöglich macht. Die öffentliche Debatte über einen möglichen Wiederaufbau kann aber nur mit einer informierten Öffentlichkeit sinnvoll geführt werden. Deshalb muß der Vertrag offengelegt werden. Die Berufung des Vorstandsvorsitzenden von MIB zu einem Sachpreisrichter des Architektenwettbewerbs führt naturgemäß dazu, daß dieser die Kapitalverwertungsinteressen der Geldanleger von MIB im Preisgericht vertritt, nicht aber die Interessen der Universität, was wiederum mit einem Wiederaufbau der Universitätskirche unvereinbar ist.

Aufgebrachte Studenten haben in der Öffentlichkeit, etwa vor der denkwürdigen Veranstaltung zur Frage des Wiederaufbaus im Foyer des Leipziger Gewandshauses behauptet, der Wiederaufbau der Universitätskirche würde für Lehrveranstaltungen dringend benötigte Grundstücksfläche der Universität entziehen. Herr Professor Bigl, hätten sie dem nicht mit der Mitteilung entgegentreten müssen, daß die Universität große Flächen für kommerzielle Zwecke auf 99 Jahre verpachtet hat?

Der Text dieses Vertrages mit MIB liegt der Öffentlichkeit noch immer nicht vor. Deshalb habe ich ihn als einen "Geheimvertrag" bezeichnet. Angesichts dessen erscheint mir die Debatte um den Wiederaufbau der Universitätskirche vor einer uninformierten Öffentlichkeit als Farce, da eben dieser Wiederaufbau bereits durch das unter Ausschluß der Öffentlichkeit geführte Auswahlverfahren und den Vertrag mit MIB und dessen Weiterungen ausgeschlossen worden ist.

Herr Professor Bigl, Sie haben mich wegen meiner Äußerung im Internet zum Vertrag mit MIB bei der Staatsanwaltschaft wegen "Verleumdung" angezeigt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt seitdem gegen mich. Auch sie geht inzwischen davon aus, daß es den Vertrag mit MIB gibt, und sie hat für ihre Ermittlungen von der Universität den Vertrag herausverlangt. Einen Vertrag, den nicht einmal die Staatsanwaltschaft in einem einschlägigen Ermittlungsverfahren so ohne weiteres erhält, wird man nach meinem Dafürhalten durchaus zutreffend als "geheim" bezeichnen dürfen. Der Vorlagebeschluß der Staatsanwaltschaft erging schon vor geraumer Zeit; offenbar findet es die Verwaltung schwierig, den Vertrag an die Staatsanwaltschaft herauszugeben.

Wenn es Ihnen nur darum gegangen wäre, mich davon abzuhalten, eine unrichtige Behauptung zu wiederholen, wäre das übliche Mittel eine einstweilige Verfügung gewesen, wofür Sie nur eine eidesstattliche Erklärung hätten abzugeben brauchen, daß es keinen derartigen Vertrag gäbe. War Ihnen eine derartige eidesstattliche Erklärung vielleicht doch zu heikel? Oder ging es Ihnen vor allem darum, andere davon abzuschrecken, sich mit der Frage des Vertrages mit MIB öffentlich zu befassen? Dafür spricht, daß Sie - noch bevor ich selbst überhaupt etwas von der Anzeige gegen mich erfahren habe - durch den Justitiar der Universität dem Paulinerverein Mitteilung von dieser Anzeige machten und ihn unter Androhung rechtlicher Schritte davor warnten, eine ähnliche Behauptung wie ich aufzustellen. Es ist Ihnen auch tatsächlich geglückt, den Paulinerverein davon abzuhalten, sich dieses für sein Vereinsziel wesentlichen Themas öffentlich anzunehmen. Auch sonst schweigt so mancher, der von diesem Vertrag weiß, öffentlich darüber.

Sie waren, wie ich höre, auch auf Anfrage der Staatsanwaltschaft nicht bereit, die Anzeige gegen mich zurückzunehmen. Sind Sie sich eigentlich im klaren darüber, in welche Verbindung Sie sich - sicher unabsichtlich - mit diese Anzeige stellen? Wegen des Plakates von 1968 mit der Aufschrift "Wir fordern Wiederaufbau" wurde ich verurteilt. Und ich bin der einzige deshalb Verurteilte, da die anderen der Stasi bekannten Beteiligten nicht mehr für sie greifbar waren. Und heute bin ich - obwohl sich auch andere öffentlich über den geheimen Vertrag mit MIB geäußert hatten - wieder der einzige, der deshalb strafrechtlich verfolgt werden soll.

Ich habe die Staatsanwaltschaft aufgesucht. Das war ein eigentümliches Dejavu-Erlebnis; denn sie sitzt in der gleichen Beethovenstraße in Leipzig, in der ich 23 Monate in U-Haft bei der Stasi war. Wollen Sie, Herr Professor Bigl, mich nun ein zweites Mal zum Opfer machen - wiederum wegen meines Eintretens für den Wiederaufbau der Universitätskirche?

Ich weiß natürlich, daß sich ein Beschuldigter am klügsten verhält, wenn er sich nicht bei der Staatsanwaltschaft einläßt, sondern wartet, bis sein Anwalt Akteneinsicht hatte und sich dann nur über diesen äußert. Aber es geht mir nicht in erster Linie darum, mich vor einer Anklage zu schützen, die ich für absurd halte, sondern darum, die Vorgänge, die jetzt den Wiederaufbau verhindern, öffentlich transparent werden zu lassen. Bei einem öffentlichen Verfahren werde ich also in der unangenehmen Rolle des Angeklagten sein, während der Staatsanwalt Sie als Zeugen laden will. In einem gewissen Sinne freue ich mich dennoch, Sie bei dieser Gelegenheit wieder zu sehen: Ich werde Ihnen Fragen stellen können zu dem, was mir so alles zum Vertrag mit MIB zugetragen worden ist. Beispielsweise möchte ich Sie fragen, ob an dem Gerücht etwas dran ist, daß das Rektorat für den Fall der Verwirklichung des Vertrages mit MIB sieben oder acht Millionen erhalten soll.

Allerdings vermute ich, daß die Universität es im Interesse der weiteren Geheimhaltung des Vertrages mit MIB nicht zu einer Anklage kommen lassen wird. Aber bereits Ihre Anzeige gegen mich stellt eine so fatale Verbindung zu meiner Strafverfolgung in der DDR her, daß ich mich frage, was Sie zu diesem m. E. auch für Ihren Ruf schwerwiegenden Schritt gebracht hat.

Mit besten Grüßen

Dietrich Koch


 

Quelle der Schreiben der Wissenschaftler und des StudentInnenRates der Universität Leipzig:
http://www.stura.uni-leipzig.de


Kommentar zu den Beiträgen von: Prof. Dr. Bigl, Prof. Dr. Stekeler-Weithofer, Prof. Dr. Pahl und Gullnick/Schulz/Trepper


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