Verehrte, liebe Kolleginnen und Kollegen der Universitaet Leipzig,
ich schreibe Ihnen heute aus New York, als Ihr Kollege und als Vorsitzender des Paulinervereins.
Wie Sie wissen, haben 27 deutsche und auslaendische Nobelpreistraeger im Dezember 2001 einen dringenden und oeffentlichen Appell an die Universitaet Leipzig und an die damalige saechsische Landesregierung gerichtet, den Beschluss die 1968 gesprengte Paulinerkirche nicht wiederaufzubauen, zu revidieren.
Dieser Aufruf fuehrte endlich zu einer lange ueberfaelligen, oeffentlichen Diskussion wie man mit einem der fuer die deutsche Kultur- und Geistesgeschichte wichtigsten Bauten umgehen soll. Die Diskussion blieb nicht nur auf Leipzig beschraenkt, sondern hat sich bis hin nach Amerika ausgeweitet (Public Radio). Der Wiederaufbau der Leipziger Paulinerkirche wurde, ihrer Bedeutung angemessen, zu einem nationalen und internationalen Diskussionsobjekt.
Das Resultat dieser langen Debatte ist nun ein neuer Architektenwettbewerb, der ganz eindeutig den Bau einer Aula/Kirche auf dem historischen Areal der Paulinerkirche vorschreibt! Sehr wichtig: zum ersten Mal wird der Bau der Paulinerkirche in der historischen Form erlaubt.
Um selbst mit einem konkreten Vorschlag zur Debatte beizutragen, hat der Paulinerverein den Architekt Andreas Hummel beauftragt, die Paulinerkirche in ihrer zeitlosen und ewig-gueltigen historischen Architektur computergraphisch darzustellen. Dabei haben wir uns auf die wesentlichen architektonischen Elemente (gotische Hallenkirche mit einem hochaufragenden Dach) konzentriert und haben Zutaten spaeterer Zeiten (vom Barock bis hin zur Neogotik) weggelassen. Das Resultat ist ein imposanter, wunderschoener, multi-funktioneller Raum, der spielend 1000 Personen Platz bietet und der als Aula, Kirche, Konzertraum usw. benutzt werden kann. Wir schicken Ihnen drei dieser Computergraphiken: eine Sicht von der Orgelempore, eine Sicht von der gegenueberliegenden Altarseite, die an den Augustusplatz angrenzt und einen Querschnitt der Kirche, der ueberraschender Weise einen grossartigen Raum unter dem Steildach offenbart. Dieser Raum, sowie ein grosszuegig unterkellerter Raum, koennten weitere wichtige Nutzungsmoeglichkeiten eroeffnen.
Wir haben die Architekten, die an dem neuen Wettbewerb teilnehmen, von diesen Ideen informiert und hoffen, dass sie diese aufgreifen werden.
Wir finden es ausserordentlich wichtig, dass sich alle Mitglieder der Fakultaeten der Universitaet Leipzig ueber die einmalige Chance zu einem Wiederaufbau der Paulinerkirche aufklaeren. Es kursieren nach wie vor viele Missinformationen, die von Gegnern des Wiederaufbaus in Umlauf gesetzt wurden. Als Paulinerverein sehen wir es als unsere Pflicht an, Sie mit den Tatsachen vertraut zu machen, so dass sie informiert an den bevorstehenden, ausserordentlich wichtigen Entscheidungen teilnehmen koennen.
Unter den Missinformationen, die wir haeufig antreffen und die leider besonders von einer ehemaligen Universitaetsleitung verbreitet wurde ist, dass ein Wiederaufbau der Kirche eine Milliarde DM verschlingen wuerde. Neueste Schaetzungen ergeben, dass eine Aula/Kirche in der Gestalt, wie sie wir Ihnen in der Computergraphik vorstellen, um die 25 Millionen Euro kosten wuerde, aehnlich viel wie ein modernes Gebaeude.
Einige sagen, dass eine wiederaufgebaute Paulinerkirche nur eine Kopie sein wuerde, als ob die Idee eines wichtigen Gebauedes von alten Steinen abhaengen wuerde! Besonders in Polen hat man diese Meinung schon lange als absurd begriffen und hat historische Stadtkerne restauriert, auch wenn einige davon mal deutsch waren. Der frisch-gebackene Ehrendoktor der Universitaet Leipzig und einer der grossen Komponisten unserer Zeit, Krzysztoff Penderecki, hat sich kuerzlich zum Streit ueber den Wiederaufbau der Paulinerkirche geaeussert: "So ein Streit waere in Polen undenkbar, die Kirche wuerde laengst wieder stehen". (LVZ 01. Dez. 2003, Interview mit Thomas Mayer).
Die Wiederaufbaugegner behaupten auch, dass von der Paulinerkirche nichts mehr uebrig ist. Es ist wichtig daraufhinzuweisen, dass im Gegensatz zur Dresdner Frauenkirche noch mehr als 70% der Inneneinrichtung der Paulinerkirche vorhanden ist. Nur in einer wiederaufgebauten Kirche/Aula wuerde diese wertvolle Inneneinrichtung wieder ihre grossartige, lebendige Wirkung entfalten, nicht aber in einem modernen Raum, in dem sie museal und fremdartig anmuten wuerde.
Nach 40 Jahren in Amerika, ohne wesentliche Kontakte (ausser Familie) mit Deutschland und seinen Universitaeten, haben meine intensiven Erfahrungen um den Wiederaufbau der Paulinerkirche in Leipzig mir deutlich gemacht, welche irreparablen Schaeden Hitler und die DDR (fuer die Buerger in Ostdeutschland) in der Psyche des Landes hinterlassen haben. Im lobenswerten Versuch sich mit dieser Vergangenheit auseinanderzusetzen, glauben viele sich am besten komplett von der Geschichte trennen zu muessen, um damit die Zukunft so unbelastet wie moeglich zu gestalten. Nur so ist die ernst gemeinte Behauptung zu verstehen, dass man mit einem Wiederaufbau der Paulinerkirche die Verbrechen Ulbrichts und seiner Schergen (allen voran der damalige Rektor der Universitaet Leipzig und auch der damalige Oberbuergermeister) einfach vom Tisch wischen wuerde. Fuer diese Leute ist es viel unkomplizierter, an den DDR Staatsterrorismus lediglich mit Gedenk-Ritualen zu erinnern. Meistens bleiben diese unbeachtet und schliesslich werden sie ohnehin vergessen. Die Tendenz sich von seiner eigenen Geschichte zu reinigen fuehrte dazu, das Kind mit dem Bade auszuschuetten. Nur so ist es verstaendlich, dass besonders in Deutschland mehr an historischer Substanz nach dem Kriege als waehrend des Krieges vernichtet worden ist.
Aus dem Klein-Paris, was Leipzig einmal war, wird immer mehr ein standardisiertes, architektonisch-langweiliges und banales Klein-Globeville!
Und die 600-Jahr Feier der Uni Leipzig im Jahre 2009 ohne eine wiederaufgebaute Paulinerkirche? Ohne das einzige Gebaeude, welches fuer alle sichtbar und benutzbar an ihre lange Geschichte erinnern koennte? Wird es ohne sich der Herkunft zu entsinnen eine Zukunft fuer die Uni Leipzig geben?
Ich bitte Sie daher, sich zu informieren (unsere Geschaeftstelle hat viel Material und sogar Filme). Sprechen Sie sich aus, besonders bei der neuen Univsersitaetsfuehrung! Bleiben Sie nicht laenger unter der schweigenden Mehrheit, die den Wiederaufbau will, und treten Sie in die Oeffentlichkeit! Ueberlassen Sie das Feld nicht den wenigen, aber sehr lautstarken Wiederaufbaugegnern. Unterstuetzen Sie unsere Arbeit!
Der Wiederaufbau der Paulinerkirche ist nicht nur eine Pflicht fuer Leipzig, sondern fuer Deutschland und die zivilisierte Welt!
Lassen Sie mich bitte schliessen mit einem Zitat von Hermann Hesse zum Anlass des Wiederaufbaus des Goethehauses in Frankfurt/Main im Jahre 1949:
"Vielleicht ist die Zahl der Menschen in Deutschland wie ausserhalb heute noch nicht so sehr gross, welche vorauszusehen vermoegen, als welch vitaler Verlust, als welch trauriger Krankheitsherd sich die Zerstoerung der historischen Staetten erweisen wird. Es ist damit nicht nicht nur ein grosses, edles Gut vernichtet, eine Menge hoher Werte an Tradition, an Schoenheit, an Objekten der Liebe und Pietaet zerstoert: es ist auch die bildende und durch Bilder erziehende Umwelt der kuenftigen Geschlechter und damit die Seelenwelt dieser Nachkommen eines unersetzlichen Erziehungs- und Staerkungsmittels, einer Substanz beraubt, ohne welche der Mensch zwar zur Not leben, aber nur ein hundertfach beschnittenes, verkuemmertes Leben fuehren kann".
Wir sollten uns also nicht schuldig machen, die naechste Generation der bildenden und durch Bilder erziehenden Umwelt zu berauben!
Genau das hat mich motiviert im Jahre 1999 die eine Million Dollar meines Nobelpreises fuer den Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche zu stiften.
Mit den besten Wuenschen fuer die bevorstehenden Festtage gruesse ich Sie herzlich aus New York.
Ihr Guenter Blobel
Bildbeschreibungen:
- Sicht von der Orgelempore auf den Altar an der Augustusplatzseite.
- Sicht vom Altar auf die Orgelempore mit einer angedeuteten Orgel.
- Querschnitt durch die Kirche mit einem grossartigen Raum unter dem Steildach, welcher benutzt werden koennte. Das suedliche Kreuzgangschiff ist hier weggelassen.
p.s. Geschaeftsstelle des Paulinervereins: Dresdner Hof, Neumarkt 27, 04109 Leipzig,
Oeffnungszeiten: Dienstag-Freitag, 17:00-19:00 Uhr oder nach telefonischer Absprache.
Tel.:(0341) 98399-77
Fax:(0341) 98399-78
e-mail: kontakt@paulinerverein.de
Tel. Vorstandssprecherin: Dr. Jutta Schroedl: (0341) 5 93 59-0
Offener Brief von Wissenschaftlern der Universität Leipzig