Leipzig, 2002

Nun erst recht:
Wir fordern Wiederaufbau

Bemerkungen
zur Gegnerschaft des Wiederaufbaus der Universitätskirche Leipzig

Die Gegnerschaft des Wiederaufbaus der Paulinerkirche hat viele Gesichter. Letzten Endes ist sie ein Resultat der 40jährigen DDR-Diktatur. Bewusst strebte die SED eine Abwendung der Bürger von der Kirche an. Die Karl-Marx-Universität Leipzig hatte dabei als die Kaderschmiede der SED eine besondere Rolle zu spielen. Noch heute ist der Kopf von Karl Marx an der Fassade der Universität ein Beleg dafür.

Im Herbst 1989 endete diese exponierte Position der Universität, die vielen "Genossen" mit und ohne Parteibuch eine Reihe von Privilegien gesichert hatte. Aber sie konnten den Zusammenbruch ihres kleinen Imperiums noch nicht fassen und versuchten, zu retten, was zu retten ist. Die Universitätsleitung war außerstande, die Entwicklung zu begreifen und zu akzeptieren. Am 16. Oktober 1989 und an den folgenden Montagen versuchte die Führung der Universität verzweifelt, Studierende und Mitarbeiter von den Demonstrationen fernzuhalten. Der damalige Rektor Hennig (er steht noch heute im Personalverzeichnis der Universität Leipzig) verfasste ein Flugblatt, in dem er die Teilnahme von Universitätsangestellten an den Demonstrationen untersagte. Auch Prof. Thomas Topfstedt plädierte noch im Januar 1990 dafür, das Relief "Der Leninismus - der Marxismus unserer Tage"(1) an der Stirnseite der Universität zu belassen. In einem Gutachten für den Rektor Hennig(2) schrieb er:

"Als städtebauliches Ensemble steht der Karl-Marx-Platz unter Denkmalschutz. Einschließlich der oberen Goethestraße ist er unter der Rubrik 2, begrenzte Bereiche und Ensembles, als Objekt der Bezirksdenkmalliste des Bezirkes Leipzig ausgewiesen, bestätigt 1989. Dieser Ensembleschutz erstreckt sich selbstverständlich auch auf die Werke der baubezogenen Kunst, d.h. auch auf das Relief am Hauptgebäude der KMU, dem eine wesentliche Orientierungsfunktion im baulich-räumlichen Gesamtgefüge des Platzes zukommt. Es ist zugleich eines der bedeutendsten programmatischen Werke seiner Zeit in Hinblick auf die damaligen Vorstellungen der Synthese von Architektur und bildender Kunst.

Werner Tübkes Wandbild im Rektoratsgebäude und das Karl-Marx-Relief am Außenbau bilden eine übergeifende inhaltliche Aussage. Es würde gegen jegliche Gesetzlichkeit verstoßen, wollte man das Relief aus dem Denkmalensemble des Karl-Marx-Platzes einfach eliminieren."... "Die Demontage wäre ein schwerwiegender Eingriff in das historische Ambiente, ebenso die Umbenennung von Universität und Platz".

Der gleiche Mann wurde von Rektor Bigl 1998 als Leiter der universitären Arbeitsgruppe zur Vorbereitung des Architektenwettbewerbs zur Umgestaltung der Westseite des Augustusplatzes und in die Wettbewerbsjury als Sachverständiger Berater berufen! Kein Wunder, dass die Universität auf die Wiederaufstellung des Wandbildes von Werner Tübke im Wettbewerbsgebiet besteht. (Für das von der SED ausgeschriebene Auftragswerk war das folgende Rahmenthema vorgegeben: "Arbeiterklasse und Intelligenz sind unter Führung der marxistisch-leninistischen Partei im Sozialismus untrennbar verbunden".) Die Wiederaufstellung des Bronzereliefs wird ebenso gefordert, wenn auch außerhalb des Wettbewerbsgebiets (nachzulesen im Auslobungstext des Architektenwettbewerbs unter Punkt 2.4, Seite 19). Mit diesem Mann an der Spitze der vom Rektor eingesetzten Arbeitsgruppe waren die Weichen gestellt: Die Kirche gehört (in Übereinstimmung mit dem Willen der SED) nicht in das Stadtbild. Wir appellieren daher an die Sächsische Staatsregierung, für die weitere Diskussion nur unbelastete Personen einzubeziehen.

Die Universität hat niemals vor der Öffentlichkeit eine klare und einleuchtende Begründung dafür angeben können, weshalb sie mit größter Härte und unter Androhung juristischer Maßnahmen darauf bestanden hat, dass die "Installation Paulinerkirche" abgebaut werden sollte, die bis heute in unübertroffener Weise an den verbrecherischen Akt der SED erinnert. In zwei Schreiben an die Firma Hennig Kreitz und Partner berief sich die Universitätsleitung auf Rektoratsbeschlüsse, die den Abbau ausdrücklich forderten und die wiederholt geäußerten Bitten auf das Stehenlassen der Installation ablehnten. So heißt es in einem Schreiben des Kanzlers Gutjahr-Löser vom 09.08.99:

"Das Rektoratskollegium hat Ihren Antrag abgelehnt und mich verpflichtet, für den Abbau der Installation....Sorge zu tragen" (ohne Begründung). Am 06.10.99 wiederholt der Kanzler in einem weiteren Brief: "Unter Würdigung aller Umstände (welche?) bleibt das Rektoratskollegium bei seiner Entscheidung. Ich muss Sie daher bitten, umgehend für den Abbau der Installation zu sorgen." Nur durch intensives Engagement von Bürgern, Stadträten und Stadtratsfraktionen ist es gelungen, die starre Haltung der Universität aufzuheben, so dass die "Installation" stehen bleiben kann, bis an gleicher Stelle mit dem Bau der Kirche begonnen wird.

So richtet sich eine atheistische Front gegen die Wiedererrichtung der Kirche. Sie ignoriert auch, dass die Universitätskirche eine Vielzahl anderer Funktionen innehatte und dass die Abkehr von Kirche und Religion in Leipzig in Jahrzehnten mit Mitteln der Intoleranz und Einschüchterung in Schulen und Hochschulen erzwungen worden ist. Diese Ausgangssituation, gepaart mit weitgehender Unkenntnis der Geschichte der Universitätskirche bis zum Zeitpunkt ihrer Sprengung, bietet die Grundlage für die Gegnerschaft des Wiederaufbaus.

Die DDR-Zeit ist auch an der Theologischen Fakultät der Leipziger Universität nicht spurlos vorübergegangen. In seiner Dissertation hat(3) Friedemann Stengel die Rolle der Theologischen Fakultäten in der DDR unter Bezug auf historische Quellen dargestellt. Auch hier zeigt sich die herausgehobene Position der Leipziger Universität. Die Existenz einer Theologischen Fakultät an dieser Universität musste doch eine Herausforderung an die Staatsorgane und die Partei darstellen. (Es sei erinnert, dass es in allen anderen "sozialistischen Ländern" keine theologischen Fakultäten mehr gab.) So hatte man diesen "Fremdkörper" denn auch besonders im Auge. Der Staatssicherheit war es gelungen, eine stattliche Anzahl von Angehörigen des Lehrkörpers der Theologischen Fakultät für eine regelmäßige und intensive Bespitzelung der Fakultät und der Evangelischen Kirche zu gewinnen. Hier seien nur die Decknamen einiger IM stellvertretend genannt, die ihre konspirative Tätigkeit meist zugleich in der Kirchenleitung und in der Theologischen Fakultät(4) ausübten: GI(5) "Inge Rose", GI "Martin", GI "Eduard", GHI(6) "Teerose", GI "Stern", GM(7) "Lorac", GI "Werner", IMB(8) "Kaufmann"(9). Unter diesen Umständen konnte die Theologische Fakultät in den 60er Jahren keinen offenen Kampf gegen das Rektorat zum Problem Universitätskirche wagen. Der Rektor hatte ausdrücklich die Streichung des Themas Universitätskirche aus der Tagesordnung der Sitzungen der Theologischen Fakultät angeordnet. So blieb für viele der nicht lösbare Konflikt zwischen "persönlicher Meinung" und "offizieller" Stellungnahme, dem sich keiner entziehen konnte, wenn er nicht die eigene Existenz oder gar die Existenz der Institution aufs Spiel setzen wollte. Weniger bedacht reagierten die Studenten der Theologischen Fakultät durch Unterschriftensammlungen und zahlreichen persönlichen Gesprächen mit Abgeordneten und Eingaben an Personen des Staatsapparates. IM Kaufmann gibt in seinem Bericht die Meinung von Bürgern wieder: ".. Aber die armen Studenten hat niemand gewarnt. Sie wurden verhaftet; von der Uni entlassen, sie bekommen gesiebte Luft, ihre Karriere fürs Leben ist dahin..."

Es erhebt sich die Frage, ob auch heute, nach dem Ende der DDR, der Status der Universitätsangehörigen, also auch der Mitarbeiter der Theologischen Fakultät, grundsätzlich ein anderer ist als vor 34 Jahren? Der Rektor spricht in der Öffentlichkeit gern von einstimmigen Beschlüssen innerhalb der Universität, obwohl eine breite Öffentlichkeit die Vorstellungen der Universitätsleitung zur Neugestaltung der Westseite des Augustusplatzes nicht mit trägt. In zahlreichen Gesprächen mit Opfern der kommunistischen Gewaltherrschaft kommt immer wieder zum Ausdruck, dass Angehörige der Theologische Fakultät bis heute einen defensiven Kurs in der Frage der Wiedererrichtung der Universitätskirche erkennen lassen und einige offenbar nicht hinreichend mit der Geschichte der Kirche und ihrer gewaltsamen Auslöschung bekannt gemacht wurden. Hier sollte ein Standpunkt erarbeitet werden, der für die interessierte Öffentlichkeit nachvollziehbar ist und der der geschichtlichen Verantwortung gerecht wird. Denn, sollten die Studenten und Mitglieder des Lehrkörpers von 1968 umsonst gelitten haben? Noch ist es Zeit, die Konsequenzen aus dem gescheiterten Wettbewerb zu ziehen, der eindeutig gezeigt hat, dass die "moderne Architektur" die Antwort auf den barbarischen Akt von 1968 schuldig geblieben ist.

Während die Katholische Kirche durch den Bischof von Dresden/Meißen den Wiederaufbau der Universitätskirche befürwortet(10), haben die führenden Vertreter der Evangelischen Kirche von Sachsen eine abwartende Haltung eingenommen, im Gegensatz zu vielen Pfarrern und aktiven Laien, die sich durch ihre Unterschrift unter dem "Aufruf an die Freunde der Paulinerkirche" zu dem Wiederaufbau der Kirche bekennen. Die zögerliche Haltung ist teilweise darin begründet, dass gefürchtet wird, man könne keine weitere Kirche erhalten oder sogar, diese Kirche sei für Leipzig überflüssig, obwohl eine wiederaufgebaute Universitätskirche wie schon in vielen Jahrhunderten Eigentum der Universität war. Die Paulinerkirche ist aber nicht bloß eine weitere Leipziger Kirche, die angeblich "nicht gebraucht" wird. Sie war bis zum Jahre 1968 d i e Leipziger Kirche, nämlich die älteste der Leipziger Kirchen und über Jahrhunderte das geistige Zentrum der Universität, denn reich ist die Geschichte von Ereignissen geistig-kultureller Art, die in ihr stattfanden. Hier wirkten viele berühmte Persönlichkeiten der Geschichte, wie an kaum einer anderen Stelle in Deutschland. Martin Luther weihte die Kirche und hielt dort seine letzte Predigt. J. S. Bach, Felix Mendelssohn-Bartholdy und Max Reger musizierten hier. Bedeutende Personen der Universität fanden in dieser Kirche ihre letzte Ruhestätte. Die Kirche diente jahrhundertelang als Aula bei akademischen Festlichkeiten, und sie war der Ort geistiger Auseinandersetzungen, die weit über die Grenzen von Leipzig ihre Wirkungen zeigten. So ist es bezeichnend für die Besonderheit dieses Bauwerkes, dass ausgerechnet ein überzeugter Atheist, der junge Physiker Stefan Welzk, im Juni 1968 zusammen mit seinen Studienfreunden in der Leipziger Kongresshalle das Plakat anbrachte: "Wir fordern Wiederaufbau", denn ihm ging es neben dem Protest gegen die Zerstörung der Kirche um den geistig-kulturellen Wert des berühmten Bauwerks, dessen körperliche Auslöschung Leipzig so sehr viel ärmer gemacht hat. Die unklare Haltung der Evangelischen Kirchenleitung negiert den Mut ihrer Vorgänger in den 60er Jahren. In einem Bericht der Stasi vom 29.10.1960 an Ulbricht, Honecker u.a. wird dargestellt, mit welcher Intensität die beiden großen Konfessionen sich bereits 8 Jahre vor der kommunistischen Untat gegen den Abriss der Universitätskirche wehrten:

"Anlässlich des Ausbaus der Innenstadt von Leipzig wurde in Leipzig eine Ausstellung durchgeführt, wo die gesamten Baupläne und auch das Modell des Innenausbaus der Bevölkerung zur Kenntnis gestellt wurde.

Die neuen Pläne sehen den Abriss der z.Z. von der evangelischen und katholischen Kirche benutzten Universitätskirche vor. Diese Kirche ist staatliches Eigentum und wurde nach 1945 beiden Konfessionen zur Verfügung gestellt.

Von seiten der kath. und ev. Kirche wurde der geplante Abriss der Universitätskirche zum Anlasss für Störfunktionen benutzt. So organisierte Probst P f e i f f e r von der kath. Kirche, dass die kath. Gläubigen sich in Eintragungen der auf der Ausstellung ausliegenden Bücher gegen den Abriss wenden sollten....Weiter wurden von der kath. Kirche Handzettel hergestellt und an die Gläubigen verteilt, in denen auf eine vom Kulturbund für den 27.10.1960, 19.00 Uhr im Neuen Rathaus einberufene Versammlung zu Fragen der Stadtplanung hingewiesen wurde. Diese Handzettel forderten auf, recht zahlreich und 1 Stunde vor Beginn der Versammlung zu erscheinen, damit sie unbedingt noch Platz finden....Probst Pfeiffer beabsichtigte, auf dieser Versammlung öffentlich gegen den Abriss der Kirche Stellung zu nehmen und die Gläubigen dazu als Rückenhalt zu benutzen. Diese Versammlung wurde abgesagt...."

Die Stadtverwaltung nötigte daraufhin Probst Pfeifer, seine "Störaktionen" zu unterlassen." Im Bericht heißt es: "Wörtlich erklärte er: 'Unsere Zeit ist jetzt gekommen, wir werden jetzt sprechen'. Am Abend des 27.10. fanden sich ca. 500 Einwohner Leipzigs ein, um die abgesagte Veranstaltung zu besuchen.

Seitens der ev. Kirche konnte eine Aktivität gegen den Abriss der Universitätskirche bisher in Diskussionen größeren Umfangs darüber an der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig festgestellt werden. Als Sprecher trat Prof. L a u e von der Theologischen Fakultät hervor.

Diese Protestaktionen, besonders der kath. Kirche und die von Probst Pfeiffer vertretene Linie, dies auch in Zukunft nicht einzustellen, zeigen, dass Probst Pfeiffer und die ihm hörigen Anhänger als Sammelbecken reaktionärer Kräfte in Leipzig eingeschätzt werden müssen und es wäre zu erwägen, Probst Pfeiffer aus der DDR auszuweisen, falls er seine Haltung in diesen Fragen nicht revidiert."

Knapp 8 Jahre später, kurz vor der Sprengung, ließ sich Honecker von der Stasi am 28. Mai über die Lage berichten:

"Seit dem März 1968 wurden von Einzelpersonen und Personengruppen 240 Schreiben als Eingaben an den Rat der Stadt Leipzig und andere staatliche Organe gesandt, worin sich über 500 Personen gegen den Abbruch der Kirche aussprechen. Es handelt sich hauptsächlich um Theologiestudenten und Hausfrauen. Darunter sind auch 2 Nationalpreisträger und 6 Professoren..

25 Studenten versuchten zwei Tage vor der am 23. 5. 1968 stattfindenden Abgeordnetenversammlung im Abgeordnetenkabinett Namen und Anschriften der Abgeordneten in Erfahrung zu bringen, um sie offensichtlich beeinflussen zu können. Ein von Studenten geplanter Sitzstreik vor der Universitätskirche konnte durch vorbeugende Maßnahmen verhindert werden. Personenansammlung kirchlich gebundener Studenten bis zu 200 Personen am 23. und 24. 5. 1968 vor der Universitätskirche und in kleinerem Umfang vor dem Neuen Rathaus konnten ohne Zwischenfälle aufgelöst werden.....Am 27.5.1968 legten ca. 50 Angehörige der "Jungen Gemeinde" demonstrativ Blumen am Abbruchgelände ab. Am Abend kam es in diesem Gebiet zur Konzentration von ca. 300 - 400 vorwiegend jugendlichen Personen, die zu einem Teil der Aufforderung der VP, den Platz zu verlassen, nicht Folge leisteten und erst durch den Einsatz von Polizeikräften zerstreut werden konnten. 37 Personen -davon 5 Studenten-, die sich stets von neuem zusammenfanden, laut protestierten und passiven Widerstand leisteten, wurden von der VP zugeführt. Darunter befanden sich neben vorwiegend evangelischen Kirchenanhängern ein Superintendent, zwei Pfarrer und 12 konfessionell nicht gebundene Personen. Der größte Teil dieser Personen wurde nach eingehender Belehrung entlassen. Gegen 1 Person wurde von der VP ein EV mit Haft eingeleitet. MfS überprüft."

Und nach der Sprengung berichtet das MfS am 12.7.1968 an den 1. Sekretär der Bezirksleitung der SED (Bezirksbericht): "Ein besonderer Anlass für negative Diskussionen und aggressive Forderungen gegenüber dem Staat seitens der reaktionären Kreise der evangelischen und katholischen Kirche war die Sprengung der Universitätskirche in Leipzig. Dabei ist charakteristisch, dass sich die katholische Kirche erst zurückhielt und die Angriffe gegen den Staat vor allem von der evangelischen Kirche geführt wurden. In diesem Zusammenhang forderte z.B. der Sup. S c h e i b n e r und der als progressiv bekannte Pfarrer H a u s t e i n, Weißenborn Kreis Freiberg, vom Staatsapparat eine Einstellung der Gespräche mit den Pfarrern, da auf Grund der Sprengung der Universitätskirche in Leipzig gegenwärtig kein positives Ergebnis herauskommen könne.

Am 4.7.1968 hat der Sup. K o h l ein Schreiben an den Staatssekretär Seigewasser gerichtet, dessen Inhalt den Abbruch der Universitätskirche in Leipzig betrifft. In diesem Brief wird auf das gute Vertrauensverhältnis zum Staat verwiesen und dass durch diese Maßnahmen des Staates dieses Vertrauensverhältnis getrübt worden sei. Dieses Schreiben wurde von ca. 25 bis 30 Pfarrern der Euphorie Freiberg unterzeichnet."

Die Beispiele mutigen Widerstandes von Vertreter der Evangelischen und der Katholischen Kirche, die dokumentarisch belegt sind, lassen sich noch vielfältig fortsetzen. Die Historiker marxistisch-lenistischen Typs haben dieses bedeutende Kapitel der Zeitgeschichte stets ausgelassen: "Es ist nicht, was nicht sein darf!" Wir appellieren an die Vertreter der Kirchen, ihre bisherige Zurückhaltung gegenüber dem Thema "Wiederaufbau der Universitätskirche St. Pauli" aufzugeben und eine klare Stellung zu beziehen, die der historischen Verantwortung gerecht wird angesichts des starken Interesses der Weltöffentlichkeit.

Die überwiegend atheistische Haltung bei den Gegnern des Wiederaufbau wird meist mit einem überholten Argument der Kunsthistoriker gekoppelt, man könne das nicht wiederaufbauen, von dem nichts mehr da sei. Diese Kreise wenden dieses Dogma auf eine einmalig infame Situation an, die von der SED-Führung 1968 eben deshalb geschaffen wurde, um den Wiederaufbau dieses Bauwerkes für immer unmöglich zu machen: Diese zerstörte in einer Eilaktion die vollständig erhaltene Kirche und vergrub die Trümmer tief in der Erde. Nun wird außerdem noch behauptet, das Konzil der Universität habe den Wiederaufbau der Paulinerkirche abgelehnt. Es hat aber nur "Leitvorstellungen..." beschlossen, ohne dass etwas über Art und Weise des Baus ausgesagt wurde. So wird dieser Beschluss überinterpretiert, wenn es gerade die Diskussion erfordert.

Die Vertuschung der Geschichte der Kirche und der Geschichte ihrer Zerstörung war ein Hauptziel der SED. Sie verfolgte und sperrte alle diejenigen ein, die sich der Zerstörung widersetzten. Auf der Basis der Unkenntnis der historischen Zusammenhänge, vor allem in der jüngeren Generation, formierte sich die Front der Gegner des Wiederaufbaus der Paulinerkirche.

Der ehemalige Rektor der Leipziger Universität, Prof. C. Weiss, trat Anfang der 90er Jahre mit der Idee an die Öffentlichkeit, eine Aula (also einen nicht sakralen Raum) an der Stelle der Paulinerkirche zu errichten und diese Aula mit dem Namen "Pauliner Aula" zu versehen. Damit würde in ganz ungewöhnlicher Weise ein profanes Gebäude den Namen des Apostels Paulus erhalten. Weiss versuchte aber gleichzeitig in einem Interview mit der LVZ die Möglichkeit des Wiederaufbaus der Kirche mit der "finanziellen Keule" zu erschlagen, indem er für den Wiederaufbau der Kirche mit 1 Milliarde (=1000 Millionen) DM veranschlagte. Solide Berechnungen, die von Fachleuten erstellt wurden, ergaben ca. 23 Mio EUR für den Kirchenbau (mit einfacher Innengestaltung). In Anbetracht der Tatsache, dass auch eine Aula nicht zum Nulltarif zu haben ist, ist diese Summe durch eine Spendenaktion aufzubringen.

Die weitere Diskussion der Gegner des Wiederaufbaus konzentrierte sich auf die Idee des Erinnerns an den barbarischen Akt der Zerstörung. Eine Aula würde diese Aufgabe besser wahrnehmen können als eine Replik der Kirche. Abgesehen davon, dass die Einschränkung auf die bloße Erinnerung nicht das Wesentliche trifft, was Ulbricht und seine Leipziger Helfer, der SED-Bezirkschef Fröhlich, der Oberbürgermeister Kresse und der Rektor der Universität Werner beabsichtigten, nämlich die Funktion der Kirche zu beenden, so hat es bisher nur ein Architektenbüro im Rahmen zweier Architektenwettbewerbe (1994 und 2002) geschafft (Burgstaller und Kluska, München; Entwurf mit Kirche1994) das geforderte Erinnerungsmerkmal in der Architektur in dem geforderten Maß zum Ausdruck zu bringen. In nicht nachvollziehbarer Weise hat die Jury einen Entwurf mit dem zweiten Preis gekürt, der den Betrachter auf dem Augustusplatz nicht im Entferntesten optisch an die Kirche erinnert, obwohl es der Auslobungstext fordert. Schon die "Installation Paulinerkirche" liefert den Beweis, dass es künstlerische Möglichkeiten gibt, dieser Aufgabenstellung gerecht zu werden.. Nur die Existenz des gotischen Kleinods (wenn auch als Replik) und die würdige Präsentation der geretteten Kunstwerke und sonstigen Gegenstände in der wiedererrichteten Kirche wird deutlich machen, zu welchem Wahnsinnsakt sinnloser Zerstörung eine kommunistische Diktatur fähig ist.

Die Universität hat bisher der Öffentlichkeit weitgehend vorenthalten, dass ca. 80% der Kunstschätze vor der Sprengung aus der Kirche gerettet werden konnten und nun ihrer Wiederaufstellung harren. Natürlich wäre eine Aula nicht in der Lage, diese in würdiger Form aufzunehmen. Die fehlenden Stücke würden nur in einem Kirchenraum die geschlagenen Wunden besonders eindrucksvoll deutlich machen.

Die Gegner des Wiederaufbaus führen weiter an, dass es keine angestammte Gemeinde für die Kirche gäbe: Dies ist die nächste Infamie, denn diese wurde ja mit voller Absicht von Ulbricht vertrieben. Vor ihrer Sprengung war die Kirche Heimstadt für die Studenten der großen Konfessionen und die Wirkungsstätte des Universitätschores. Nach Aussagen des ehemaligen Studentenpfarrers Dietrich Mendt nahmen an den Bibelstunden etwa 200 Studierende und an den Gottesdiensten ca. 500 teil. Es soll die lebendigste Gemeinde von Leipzig gewesen sein und die größte in ganz Deutschland. Heute befinden sich etwa 25000 Studierende in Leipzig, das stellt ein Potential dar, das auch in unserer mehr vom Atheismus geprägten Welt als vielleicht vor 40 Jahren Garantien für eine Fortsetzung der unterbrochenen Tradition aus der Zeit vor 1968 bietet. Und wer vermag einzuschätzen, dass die atheistische Grundhaltung vieler Studenten auch in zwanzig oder dreißig Jahren noch vorherrschen wird? Die Universität verfügt über einen Universitätsprediger, einen Universitätsorganisten, einen Universitätschor und einen Universitätsmusikdirektor sowie ein hochangesehenes Kammerorchester ohne adäquate Heimstätte. Statt vor dieser Situation zu kapitulieren, sollten die Theologen dieser Universität sich mehr um die Aufklärung der Studierenden bemühen.

Eine beachtliche Anzahl von Vertretern des öffentlichen Lebens aus ganz Deutschland (ca. 300 Unterschriften), die sich in einem Aufruf an die Verantwortlichen des Architektenwettbewerbs wandten, forderten, den Wiederaufbau der Kirche als gleichberechtigte Option in den Wettbewerb aufzunehmen, bevor dieser gestartet worden war. Die Universität hielt jedoch die genauen Festlegungen des Auslobungstextes bis zum letzten Moment strengstens geheim, offenbar in der Überzeugung, dass Entwürfe von Teilnehmern, die die wiederaufgebaute Kirche als Bestandteil enthielten, eine größere Überzeugungskraft auf die Jury und die Bürger ausüben würden, als die Möglichkeiten der modernen Architektur. In öffentlichen Diskussionen und Publikationen behaupten die Vertretern der Universität immer wieder, dass die detaillierte Festlegung des Textes, an dem sich die Bewerber zu orientieren hatten, durch eine breite Diskussion in der Öffentlichkeit zustande gekommen sei. Eine Vielzahl von Fakten spricht dagegen. Beispielsweise hat der Kanzler der Universität im Juli 2001 (also vor der Auslobung des Wettbewerbs, dessen Wortlaut erstmals in den ersten Septembertagen im Internet nachzulesen war) Mitgliedern des Paulinervereins und Unterzeichnern des sogenannten Prominentenaufrufs die Einsicht in den Auslobungstext nicht gestattet, ebenso verfuhr der Staatsminister Meyer am 17. August 2002. Im Stadtrat gab es am 05. September 2001, also nach der Auslobung, einen Beitrag des Stadtrats Stefan Billig(11), in dem gefordert wurde, den Wiederaufbau der Universitätskirche in den Wettbewerbstext aufzunehmen, ein Indiz dafür, dass selbst die Mitglieder des Stadtrates keinen Einblick in die konkreten Unterlagen erhalten hatten.

In unverständlicher Weise reagierte der Rektor der Universität auf den Aufruf von 27 Nobelpreisträgern, indem er diesem Kreis die Kompetenz absprach, an der Diskussion um die Problematik der Neugestaltung des Augustusplatzes teilzunehmen. Er vergab damit nicht nur die einmalige Chance weiterer wissenschaftlicher Dialoge und Kooperationen für die Universität, wie sie eine solche Einrichtung nicht ein zweites Mal bekommt, sondern ignorierte gleichzeitig die internationale Sicht der Problematik. An vielen Universitäten Westeuropas und der angelsächsischen Welt gehören Kirchen zum Bestandteil der Universitäten und ihrer Geschichte. Der Rektor der Leipziger Universität Prof. Bigl selbst konnte z.B. im Oktober 2001 die Ehrendoktorwürde der Universität von Ohio in der dortigen Universitätskirche in einem feierlichen Akt entgegennehmen (Titelbild des Universitätsjournals, Novemberheft 2001). Mit großem Interesse schauen die klügsten Köpfe der Welt auf die anstehenden historischen Entscheidungen in Leipzig. Dass der Wille zum Wiederaufbau der mutwillig zerstörten Kirche einen schier endlosen Streit zur Folge hat, wird mit Unverständnis und Kopfschütteln zur Kenntnis genommen. Wertvollste historische, identitätsstiftende Bausubstanz wiedererstehen zu lassen, ist überall in der Welt zur Selbstverständlichkeit geworden. Auch der Deutsche Bundestag hat erkannt, dass die Wiedererrichtung historischer Bauten, die mit Absicht restlos beseitigt worden waren, eine unverzichtbare Notwendigkeit darstellt, um der Hauptstadt ein Gesicht zu verleihen, das von den Bürgern akzeptiert wird und über Jahrhunderte Bestand hat, wie die Abstimmung über das Berliner Stadtschloss vor wenigen Tagen am 04. Juli gezeigt hat. Der zentrale Platz in Leipzig, wo 1989 das Wunder der Befreiung von der kommunistischen Diktatur seinen Anfang nahm, hat eine gleiche Aufmerksamkeit verdient.

Die Universität beharrt auf ihrem engen Konzept einer nichtssagenden "modernen" Architektur, und hat nun erhalten, was sie verdient: etwas, was nichts, aber auch gar nichts aussagt. Sie setzt damit im Grunde nur das Konzept von 1968, statt das von 1989 fort. Das bewegte viele Bürger dazu, ihren Widerspruch und Unmut anlässlich der Auswertung des Wettbewerbs zum Ausdruck zu bringen. Daher fordern auch wir für die weitere Diskussion, dass die Wiedererrichtung der Kirche St. Pauli in einer Neuausschreibung des Wettbewerbs festgeschrieben wird.

Ausschnitt aus dem Gemälde in der ersten Etage des Hauptgebäudes der Leipziger Universität von Werner Tübke: "Arbeiterklasse und Intelligenz".

Arbeiterklasse und IntelligenzErgebnis eines Wettbewerbs mit dem Rahmenthema: "Arbeiterklasse und Intelligenz sind unter Führung der marxistisch-leninistischen Partei im Sozialismus untrennbar verbunden."

Im gezeigten Ausschnitt sind dargestellt:

- der ehemalige 1. Sekretär der Bezirksleitung der SED Paul Fröhlich,

- der ehemalige Oberbürgermeister von Leipzig Kurt Kresse und

- der ehemalige Vorsitzende des Rates des Bezirkes Leipzig Erich Grützner

(Original farbig).

Kresse leitete die Stadtverordnetenversammlung, auf der die Eliminierung der Kirche formal beschlossen wurde.

Prominentester Redner war Fröhlich, der mit ungewöhnlich scharfen Worten die Kirche und die Theologische Fakultät sowie alle kritischen Bürger bedrohte.

Der Senat der Universität hatte unter Leitung seines Rektors Werner (im Bild nicht dargestellt) der Auslöschung der Kirche zugestimmt.


Der Auslobungstext des Architektenwettbewerbs legt fest, dass dieses Gemälde im Bereich der Universität wieder aufgestellt werden soll.

Dr. Manfred Wurlitzer
stv. Vors. des Paulinervereins

1. 1 Im Text zum Architektenwettbewerb 2001 wird das Relief "Aufbruch" genannt.

2. 2 Bestelltes Gutachten, verfasst von Prof. Topfstedt vom 15.02.1990 zum Karl-Marx-Relief

3. 3 Friedemann Stengel, Dissertation an der Martin Luther Universität Halle 1997: "Die Theologischen Fakultäten der DDR"

4. 4 Auch das "Theologische Seminar" blieb nicht verschont.

5. 5 "GI" war beim MfS die Kurzbezeichnung für "Geheimer Informant".

6. 6 "GHI" bedeutete "Geheimer Hauptinformant".

7. 7 "GM" bedeutete "Geheimer Mitarbeiter".

8. 8 "IMB" bedeutete "Inoffizieller Mitarbeiter der Abwehr mit Feindverbindung".

9. 9 IM "Kaufmann" berichtete z.B. der Abteilung XX in Karl-Marx-Stadt über die Stimmung in der Kirchenleitung von Sachsen nach der Sprengung der Uni-Kirche.

Im Oktober 1984 schätzt das MfS ein: "Der IMB Kaufmann arbeitet seit über 25 Jahren inoffiziell mit dem MfS zusammen. Bei dem IMB handelt es sich um einen evangelisch-lutherischen Pfarrer in Rente, der trotz seines Alters mit Mut und Einsatzbereitschaft über alle Probleme und Personen aus dem Raum der Kirche ehrlich und zuverlässig berichtet.

Der IM stellt bei der Durchführung von Aufgaben stets noch ein hohes Maß an Einsatzbereitschaft und Disziplin unter Beweis. Seine Berichte tragen einen hohen Grad von operativer Bedeutung.

Es wird vorgeschlagen, den IBM "Kaufmann" anlässlich des 35. Jahrestages der DDR mit einer Geldprämie in Höhe von Eintausend Mark auszuzeichnen."

10. 10 Persönliches Schreiben des Bischofs Reinelt an Dr. Werner Jahn, Nürtingen vom 15.01.2002.

11. 11 Laut Protokoll der Ratsversammlung.


Kommentar zu den Beiträgen von: Prof. Dr. Bigl, Prof. Dr. Stekeler-Weithofer, Prof. Dr. Pahl und Gullnick/Schulz/Trepper

Die offiziellen Vertreter der Leipziger Universität lehnen den Wiederaufbau der Universitätskirche (oder auch eine "kirchennahe Gestaltung" des Teilgrundstückes der ehemaligen Kirche) strikt ab. Sie nehmen für sich das alleinige Recht in Anspruch, festzulegen, was gebaut wird. Juristisch scheint die Sachlage klar, da das Areal der ehemaligen Universitätskirche in das Eigentum der Universität übergegangen ist.

Diese Betrachtungsweise, die in bezug auf die Modernisierung bzw. den Neubau der Seminargebäude, Hörsäle und der Mensa nicht auf nennenswerten Widerstand stößt, funktioniert aber nicht hinsichtlich der Neugestaltung der Westseite des Augustusplatzes, denn alle Entwürfe für diesen sensiblen Teil werden an der Qualität des Zustandes gemessen, der vor dem Krieg bestand. Die Westseite des Augustusplatzes ist das Aushängeschild der Universität, aber auch die Visitenkarte der Stadt Leipzig, mit der sich die Bürger identifizieren möchten. Damit kann das Aussehen der Westseite des Augustusplatzes niemals allein durch die Vertreter der Universität bestimmt werden oder auf die Frage der "Selbstverwaltung" reduziert werden. Mit dieser Zielstellung waren offenbar die Teilnehmer und die Preisträger des Wettbewerbs, der im Frühjahr 2002 endete und leider nicht ad acta gelegt wurde, überfordert. Denn selbst die beste der ausgewählten Arbeiten wird von amtlicher Seite als qualifizierungsbedürftig bewertet. Grund dieses Fiaskos, das dem Freistaat eine Menge Geld kostete, war der Umstand, dass die Universitätsleitung ihre Vorstellungen ohne Mitwirkung einer breiten Öffentlichkeit in der Ausschreibung des Wettbewerbs fest schrieb, etwa nach dem Motto der vollendeten Tatsachen, das doch beim Bau des schwarzen Würfels und des Mauercafés so erfolgreich funktioniert hatte. Der Schreck war groß, als die Universitätsleitung feststellen musste, dass sie in eine Sackgasse geraten war. Anstatt die versäumte, für alle Fragen offene Diskussion nachzuholen, schalt sie die Kritiker. Sie wären nun schuld, wenn das Ziel der Fertigstellung der neuen Universität nicht termingemäß bis zum Jubiläum erreicht würde. Also werden alle "Nicht-Ja-Sager" abqualifiziert, wie aus den oben zitierten Beiträgen hervorgeht.

Im Widerspruch zu den Tatsachen behaupten die Vertreter der Universität gebetsmühlenartig, ihre Ideen seien durch Mehrheiten demokratisch abgesichert. Natürlich kann man das innerhalb eines Gremiums, das durch ein Arbeitgeber/Arbeitnehmer-Verhältnis gekennzeichnet ist, ohne besondere Mühe unter Einhaltung der Regeln erreichen. Die Parallele zu den Amtsvorgängern der 60er Jahre ist unverkennbar. Auch damals wurde alles formell nach ganz ähnlichen Regeln abgestimmt.

Im Januar 1964 schrieb die Universitätsleitung in einem Entwurf zur Neugestaltung des Karl-Marx-Platzes: "Die öffentliche Diskussion um die Neugestaltung unserer Stadt und die Sorgfalt, mit der die staatlichen Organe jede Entscheidung in dieser Beziehung nach allen Seiten hin prüfen, sind ein beredter Ausdruck der sozialistischen Demokratie." 1
Es ist nicht zu fassen, wie heute die Professoren in die Opportunistenecke gedrängt werden, die sich nach jahrelangem Schweigen endlich zu Wort melden.2 Sie befürworten einen Bau, der wenigstens die Züge der ehemaligen Universitätskirche erkennen lässt und brechen mit dieser Minimalvorstellung bereits aus der verordneten Einheitsfront aus. Wieder wird von einem ehemaligen Rektor, der die Landesregierung durch seinen Rücktritt zu erpressen versuchte, die "Einstimmigkeit" beschworen, die doch nur unter dem Druck der drohenden Stellenkürzungen und der hierarchischen Abhängigkeiten der Universitätsangestellten zustande kam. Von "Beschädigen des Ansehens der Universität" ist die Rede und von der "Schwächung der Position" der Universität generell. Doch die in diesen Formulierungen enthaltene "neue argumentative Munition" haben Sie produziert, Herr Professor Bigl!

Was jetzt unter "Prinzip der Selbstverwaltung der Universität" verstanden wird, ist doch nichts anderes als die Negierung aller historisch entstandenen Verpflichtungen, die damals aufgeprägt wurden, als die Amtsvorgänger im Jahre 1968 den Abriss der Kirche "freudig" mitbeschlossen, die aber die Universität nicht einfach abschütteln kann. Zur Erinnerung. Der Rektor Werner schrieb in seiner Willenserklärung des Akademischen Senats am 17. Mai 1968: ... "Der Akademische Senat spricht dem Ersten Sekretär des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und Vorsitzenden des Staatsrates, Genossen Walter Ulbricht, seinen Dank dafür aus, dass er durch seine wertvollen konstruktiven Vorschläge und Hinweise entscheidend dazu beigetragen hat, um die vorliegenden Pläne realisieren zu können.

Der Senat der Karl-Marx-Universität ist davon überzeugt, dass alle Untersuchungen für die endgültige Gestaltung des Karl-Marx-Platzes verantwortungsbewusst durchgeführt wurden. Die völlige Neugestaltung ist aus strukturell-funktionellen, aus städtebaulich-architektonischen und Raumgründen erforderlich. 3

Der Akademische Senat gibt dem neuzuerrichtenden Universitätskomplex am Karl-Marx-Platz seine uneingeschränkte und freudige Zustimmung."...

Mitglieder des Akademischer Senats der Karl-Marx-Universität, Studienjahr 1967/68:

(nach Personal- und Vorlesungsverzeichnis 1967/68)

Prof. Dr. Ernst, Werner Rektor (Historiker)
Prof. Dr. Orschekowski, Walter 1. Stellvertreter des Rektors (Jurist)
Prof. Dr. Kossok, Manfred Prorektor für Gesellschaftswissenschaften (Historiker)
Prof. Dr. Gebhardt, Günter Prorektor für Naturwissenschaften
Prof. Dr. Dietrich, Gerhard Prorektor für wissenschaftlichen Nachwuchs
Dozent Alexander Porz Prorektor für Studienangelegenheiten (Pädagoge)
Dr. Harry Pawula 1. Sekretär der SED-Kreisleitung
Dr. Hubert Jusek Verwaltungsdirektor
Prof. Dr. Alfred Kosing Dekan der Philosophischen Fakultät
Prof. Dr. Eberhard Brüning Dekan der Philologischen Fakultät
Prof. Dr. Emil Dusiska Dekan der Fakultät Journalistik
Prof. Dr. Robert Lauterbach Dekan der Mathematisch_Naturwissenschaftlichen Fakultät
Prof. Dr. Otto Liebenberg Dekan der Landwirtschaftlichen Fakultät
Prof. Dr. Albrecht Heinze Dekan der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät
Prof. Dr. Erhardt Pätzold Dekan der Juristenfakultät
Prof. Dr. Ernst-Heinz Amberg Dekan der Theologischen Fakultät, stimmte als Einziger dem Abbruch der Kirche nicht zu.
Prof. Dr. Harry Braun Dekan der Medizinischen Fakultät
Prof. Dr. Julius-Arthur Schulz Dekan der Veterinärmedizinischen Fakultät
Prof. Dr. Georg Mayer Altmagnifizenz
Prof. Dr. Lothar Mosler
Prof. Dr. Siegfried Hauptmann
Prof. Dr. Gerhard Müller Vorsitzender der Universitätsgewerkschaftsleitung
Prof. Dr. Johannes Müller Direktor der Universitätsbibliothek
Prof. Dr. Johannes Rößler Direktor des Herder-Instituts
Dr. Werner Hannig FDJ-Kreisleitung
Dr. Josef Klimke VEB Kombinat "Otto Grotewohl" Böhlen

Offenbar war man damals zutiefst davon überzeugt, den einzigen richtigen Weg gefunden zu haben. Vor allem aber verblüfft die Verwendbarkeit der Argumente am Schluss des Zitats sowohl für den Abbruch der Kirche im Jahre 1968 als auch für die Ablehnung ihres Wiederaufbaus im Jahre 2003.

Der Universität Leipzig waren seit dem Ende der DDR glücklicherweise viele Gelegenheiten beschieden, ihre "Selbstverwaltung" unter Beweis zu stellen. Es entstanden beispielsweise neue, moderne Institute im Bereich der Naturwissenschaften und Medizin nach den Vorstellungen der Universitätsmitarbeiter in Zusammenarbeit mit dem Freistaat, die die Basis für eine wesentlich erfolgreichere Forschungstätigkeit schufen als in den Jahrzehnten zuvor. Ähnliches trifft auch für die Universitätsbibliothek und Einrichtungen im Bereich der Geisteswissenschaften zu. Es ist geradezu lächerlich und schlicht unsachlich, wenn die Frage der "Selbstverwaltung" an einem Projekt gewertet werden soll, das schätzungsweise 10% des Areals des innerstädtischen "Campus am Augustusplatz" einnimmt; der innerstädtische Bereich aber wiederum nur einen bescheidenen Bruchteil der Grundstücke umfasst, über die die Universität insgesamt verfügt (med. Klinikum, Tierkliniken, naturwissenschaftliche Institute, Institute außerhalb der Stadt Leipzig usw. usf.), so dass die strittige Fläche wahrscheinlich unter einem Prozent des Gesamtterritoriums liegt. Diese formale Betrachtung wird zwar durch die große politische Bedeutung des Areals der ehemaligen Universitätskirche teilweise aufgehoben. Sie macht aber deutlich, dass die Anfang dieses Jahres von der Universitätsleitung um das Thema "Selbstverwaltung" mit größtem Aufwand organisierte Kampagne überzogen und unverhältnismäßig geführt wurde.

Herr Prof. Pahl möchte gern die öffentliche Diskussion beenden und alles Weitere in die Hände der Fachleute legen. Für ihn ist die formale Verfahrensweise oberstes Prinzip. Das setzt aber voraus, dass die Öffentlichkeit lückenlos und exakt informiert wurde, was denn in dem verbindlichen Wettbewerbstext festgelegt wurde. Einen solchen gibt es aber bisher lediglich als Entwurf. Dieser sollte nach Auskunft des SIB (nach persönlicher Anfrage) in der Vorbesprechung der Jury am 9. Oktober in die endgültige Form gebracht werden. Eine erneute Anfrage ergab, dass die entscheidenden Informationen für den "normalen Bürger" nicht frei gegeben werden. Diese sind neben der Bekanntgabe des endgültigen, verbindlichen Ausschreibungstextes auch, die Mitteilung welche Architekten an dem Wettbewerb teilnehmen. Der Tagespresse konnte man lediglich entnehmen, dass die bisherigen Preisträger eingeladen worden sind.

Worin der viel zitierte "Konsens" bzw. der "Kompromiss" besteht, bleibt schleierhaft, denn er wurde nie klar vor der Öffentlichkeit beschrieben. Offenbar versteht die Universitätsleitung etwas anderes darunter als andere Beteiligte, wie aus der Mitteilung in der LVZ vom 29. August hervorgeht. Kein Wunder, dass es genügend Stoff für Spekulationen und weitere Diskussionen gibt. Die grundlegenden Probleme können nun einmal nicht von den sogenannten Fachleuten gelöst werden, wie der gescheiterte erste Teil des Wettbewerbs gezeigt hat. Ohne Exponate mit der geforderten Qualität kann eine noch so kompetente Jury keine befriedigende Lösung finden. Es darf aber bezweifelt werden, ob aus den Reihen der Teilnehmer am ersten Teil des Wettbewerbs Entwürfe zu erwarten sind, die über das bisher Gezeigte wesentlich hinausgehen.

Dr. rer. nat. Manfred Wurlitzer

Angehöriger der Leipziger Universität von 1957-99
Stadtverordneter von 1990 bis 1994

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1 Bezirksparteiarchiv IV/A-2/6/260 in Chr. Winter, Diss. 1993
2 Schreiben der Professoren Oldiges, Michel, Becker-Eberhard und Lux an Kollegen der Uni Leipzig, September 2003
3 Vergleich: Antwort von Prof. Dr. Pahl: "...komplexe Funktionszusammenhänge und Baumassengefüge...", Stellungnahme der Studierenden: "architektonische Dynamik", Prof. Dr. Schubert: "Architektur sollte den Funktionen einer Universität der Zukunft dienen."


im Dialog


 


 

 

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