Offener Brief von Wissenschaftlern der Universität Leipzig vom September 2003Professor Dr. Martin Oldiges Juristenfakultät
Neugestaltung der Universitätsgebäude am AugustusplatzSehr verehrte Frau Kollegin,
die Staatsregierung des Freistaates Sachsen hat sich in den letzten Tagen mit der Stadt und der Universität Leipzig darauf verständigt, den Architektenwettbewerb zur Neugestaltung des sog. Universitäts-Campus am Augustusplatz wieder aufzugreifen und zu erneuern. Damit steht noch einmal die Frage zur Debatte, ob und in welcher Form im Rahmen des Neubauverfahrens dem Erinnern an die brutal zerstörte Paulinerkirche in baulich-architektonischer Weise Raum gegeben werden soll. Das gibt allen Hochschullehrern und Hochschullehrerinnen der Universität Leipzig, die sich mit der Gesichtslosigkeit der bisherigen Architektenentwürfe nicht abfinden können, Gelegenheit, verstärkt und deutlicher als bisher ihre Meinung kundzutun. Mit diesem Brief wollen wir Unterzeichner erreichen, dass die von vielen Kollegen und Kolleginnen geteilte Meinung, es müsse für die Wiederbebauung des Grundstücks der Paulinerkirche eine kirchennahe Lösung gefunden werden, auch in der Öffentlichkeit zum Tragen kommen. Die bisher in der Öffentlichkeit geführte Diskussion wurde verschiedentlich von ihrem eigentlichen Gegenstand durch den Umstand abgelenkt, dass die Universität sich dagegen wehren musste, in einer Frage, die ihr eigenes Selbstverständnis und ihre eigene Selbstdarstellung betrifft, fremdbestimmt zu werden. Hier ist Altmagnifizenz Bigl und Magnifizenz Häuser dafür sehr zu danken, dass sie - im Falle von Altmagnifizenz Bigl auch unter Erbringung persönlicher Opfer - äußerem Druck von verschiedenster Seite widerstanden und mit Staatsregierung und Stadt zu einem neuen Anfang gefunden haben. In der Sache selbst ist das indes kein Sieg der einen oder anderen Richtung und darf als ein solcher auch nicht missverstanden werden. Wir alle müssen uns vielmehr darauf besinnen, dass eine künftige Entscheidung für eine Gestaltung auf der Grundlage des Entwurfs Behet/Bondzio nicht als ein Sieg der Universitätsautonomie über vermeintliche Machtansprüche des Freistaates und umgekehrt eine Entscheidung für eine Kirchenkubatur nicht als universitäre Unterwerfung fehlgedeutet werden darf. Es geht also allein um die Sache selbst, und hier sind nun, wie sich bisher schon gezeigt hat, die Meinungen durchaus verschieden. Die Unterzeichner dieses Briefes - sie haben sich eher zufällig aufgrund der Gemeinsamkeit ihrer Vorstellungen gefunden und zu diesem Schritt entschlossen - sind jedoch der Auffassung, dass in dem Wettstreit der Meinungen bisher viel zu wenig die Tatsache zur Geltung gelangte, dass nicht wenige Hochschullehrer und Hochschullehrerinnen eine architektonische Lösung bevorzugen, bei der die Gestalt der alten Kirche auch äußerlich und wenigstens in der Kubatur des neuen Gebäudes zur Erinnerung gebracht wird. Diese Stimmen - die schon gehörten wie auch diejenigen, die aus den verschiedensten Gründen bisher geschwiegen haben - wollen wir sammeln und als ein Argument in die bis Februar 2004 zu treffende Entscheidung einbringen. Um nicht Fehldeutungen zu unterliegen, fassen wir hier kurz unsere eigenen Vorstellungen zusammen: Wir hängen nicht der Illusion einer vollständigen Wiedererrichtung des alten Universitäts-Areals nach und sehen auch für eine originalgetreue Rekonstruktion der Universitätskirche selbst keine reelle Möglichkeit. Insofern vertreten wir in der Sache einen Kompromiss, der auch für die künftige architektonische Gestaltung des Platzes viel Raum lässt. Wir sind indes der Auffassung, dass dem Erinnern an die verlorene Kirche durch eine der Paulinerkirche weitestmöglich angelehnte Kubatur Gegenwärtigkeit verschafft werden sollte. Das soll und darf eine Nutzung des Gebäudes - auch - als Universitätsaula nicht ausschließen; vielmehr muss gerade die Doppelfunktion als Kirche und als Aula das Essentiale des neuen Gebäudes sein. Nur in solcher Gestalt kann sich die Universität im Jahre 2009 in der Tradition ihrer Geschichte präsentieren, und nur das Aufragen eines Giebeldaches kann der Westseite des Augustusplatzes die architektonische Dynamik wiedergeben, die notwendig ist, damit sich die Universität auch städtebaulich wieder in das Platzensemble einbringen kann. Die der neuen Ausschreibung zugrunde gelegte euphemistische Formel, es müsse eine "barrierefreie Vernetzung" zwischen den Gebäuden an der Grimmaischen Straße und auf dem Grundstück des ehemaligen Hauptgebäudes gewährleistet sein, darf jedenfalls der zu treffenden Entscheidung nicht selbstgesetzte Sachzwänge auferlegen. Damit sind bei weitem nicht alle Gründe genannt, die uns zu einem Eintreten für eine kirchennahe Lösung bewegen. Und diese Zeilen sind noch längst kein architektonischer Entwurf. Uns liegt vielmehr allein und ganz besonders daran, den Vorstellungen derjenigen, die wie wir einer architektonischen Orientierung des Neubaus an der Kubatur der Paulinerkirche den Vorzug vor einer baulichen Gestaltung ohne einen solchen Erinnerungsbezug geben, eine argumentative Plattform zu verschaffen. Sofern Sie, sehr verehrte Frau Kollegin, sehr verehrter Herr Kollege, sich den dargestellten Vorstellungen anschließen können, bitten wir Sie, dies auf dem beiliegenden Antwortbogen kenntlich zu machen und den Bogen durch Hauspost, durch E-Mail oder durch Fax an die im Briefkopf angegebene Adresse zurückzusenden. Es ist dort aber auch Gelegenheit gegeben, sich gegen diese Vorstellungen auszusprechen und dies ebenso kundzutun. Für eine Rücksendung des Antwortbogens bis spätestens zu Beginn der Vorlesungszeit wären wir dankbar. In kollegialer Verbundenheit Prof. Dr. Becker-Eberhard
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