Offener Brief von Wissenschaftlern der Universität Leipzig vom September 2003

Professor Dr. Martin Oldiges

Juristenfakultät
Burgstr. 27
04109 Leipzig
Tel.: 97 35 100

Neugestaltung der Universitätsgebäude am Augustusplatz

Sehr verehrte Frau Kollegin,
sehr geehrter Herr Kollege,

die Staatsregierung des Freistaates Sachsen hat sich in den letzten Tagen mit der Stadt und der Universität Leipzig darauf verständigt, den Architektenwettbewerb zur Neugestaltung des sog. Universitäts-Campus am Augustusplatz wieder aufzugreifen und zu erneuern. Damit steht noch einmal die Frage zur Debatte, ob und in welcher Form im Rahmen des Neubauverfahrens dem Erinnern an die brutal zerstörte Paulinerkirche in baulich-architektonischer Weise Raum gegeben werden soll. Das gibt allen Hochschullehrern und Hochschullehrerinnen der Universität Leipzig, die sich mit der Gesichtslosigkeit der bisherigen Architektenentwürfe nicht abfinden können, Gelegenheit, verstärkt und deutlicher als bisher ihre Meinung kundzutun. Mit diesem Brief wollen wir Unterzeichner erreichen, dass die von vielen Kollegen und Kolleginnen geteilte Meinung, es müsse für die Wiederbebauung des Grundstücks der Paulinerkirche eine kirchennahe Lösung gefunden werden, auch in der Öffentlichkeit zum Tragen kommen.

Die bisher in der Öffentlichkeit geführte Diskussion wurde verschiedentlich von ihrem eigentlichen Gegenstand durch den Umstand abgelenkt, dass die Universität sich dagegen wehren musste, in einer Frage, die ihr eigenes Selbstverständnis und ihre eigene Selbstdarstellung betrifft, fremdbestimmt zu werden. Hier ist Altmagnifizenz Bigl und Magnifizenz Häuser dafür sehr zu danken, dass sie - im Falle von Altmagnifizenz Bigl auch unter Erbringung persönlicher Opfer - äußerem Druck von verschiedenster Seite widerstanden und mit Staatsregierung und Stadt zu einem neuen Anfang gefunden haben. In der Sache selbst ist das indes kein Sieg der einen oder anderen Richtung und darf als ein solcher auch nicht missverstanden werden. Wir alle müssen uns vielmehr darauf besinnen, dass eine künftige Entscheidung für eine Gestaltung auf der Grundlage des Entwurfs Behet/Bondzio nicht als ein Sieg der Universitätsautonomie über vermeintliche Machtansprüche des Freistaates und umgekehrt eine Entscheidung für eine Kirchenkubatur nicht als universitäre Unterwerfung fehlgedeutet werden darf.

Es geht also allein um die Sache selbst, und hier sind nun, wie sich bisher schon gezeigt hat, die Meinungen durchaus verschieden. Die Unterzeichner dieses Briefes - sie haben sich eher zufällig aufgrund der Gemeinsamkeit ihrer Vorstellungen gefunden und zu diesem Schritt entschlossen - sind jedoch der Auffassung, dass in dem Wettstreit der Meinungen bisher viel zu wenig die Tatsache zur Geltung gelangte, dass nicht wenige Hochschullehrer und Hochschullehrerinnen eine architektonische Lösung bevorzugen, bei der die Gestalt der alten Kirche auch äußerlich und wenigstens in der Kubatur des neuen Gebäudes zur Erinnerung gebracht wird. Diese Stimmen - die schon gehörten wie auch diejenigen, die aus den verschiedensten Gründen bisher geschwiegen haben - wollen wir sammeln und als ein Argument in die bis Februar 2004 zu treffende Entscheidung einbringen.

Um nicht Fehldeutungen zu unterliegen, fassen wir hier kurz unsere eigenen Vorstellungen zusammen: Wir hängen nicht der Illusion einer vollständigen Wiedererrichtung des alten Universitäts-Areals nach und sehen auch für eine originalgetreue Rekonstruktion der Universitätskirche selbst keine reelle Möglichkeit. Insofern vertreten wir in der Sache einen Kompromiss, der auch für die künftige architektonische Gestaltung des Platzes viel Raum lässt. Wir sind indes der Auffassung, dass dem Erinnern an die verlorene Kirche durch eine der Paulinerkirche weitestmöglich angelehnte Kubatur Gegenwärtigkeit verschafft werden sollte. Das soll und darf eine Nutzung des Gebäudes - auch - als Universitätsaula nicht ausschließen; vielmehr muss gerade die Doppelfunktion als Kirche und als Aula das Essentiale des neuen Gebäudes sein. Nur in solcher Gestalt kann sich die Universität im Jahre 2009 in der Tradition ihrer Geschichte präsentieren, und nur das Aufragen eines Giebeldaches kann der Westseite des Augustusplatzes die architektonische Dynamik wiedergeben, die notwendig ist, damit sich die Universität auch städtebaulich wieder in das Platzensemble einbringen kann. Die der neuen Ausschreibung zugrunde gelegte euphemistische Formel, es müsse eine "barrierefreie Vernetzung" zwischen den Gebäuden an der Grimmaischen Straße und auf dem Grundstück des ehemaligen Hauptgebäudes gewährleistet sein, darf jedenfalls der zu treffenden Entscheidung nicht selbstgesetzte Sachzwänge auferlegen.

Damit sind bei weitem nicht alle Gründe genannt, die uns zu einem Eintreten für eine kirchennahe Lösung bewegen. Und diese Zeilen sind noch längst kein architektonischer Entwurf. Uns liegt vielmehr allein und ganz besonders daran, den Vorstellungen derjenigen, die wie wir einer architektonischen Orientierung des Neubaus an der Kubatur der Paulinerkirche den Vorzug vor einer baulichen Gestaltung ohne einen solchen Erinnerungsbezug geben, eine argumentative Plattform zu verschaffen.

Sofern Sie, sehr verehrte Frau Kollegin, sehr verehrter Herr Kollege, sich den dargestellten Vorstellungen anschließen können, bitten wir Sie, dies auf dem beiliegenden Antwortbogen kenntlich zu machen und den Bogen durch Hauspost, durch E-Mail oder durch Fax an die im Briefkopf angegebene Adresse zurückzusenden. Es ist dort aber auch Gelegenheit gegeben, sich gegen diese Vorstellungen auszusprechen und dies ebenso kundzutun.

Für eine Rücksendung des Antwortbogens bis spätestens zu Beginn der Vorlesungszeit wären wir dankbar.

In kollegialer Verbundenheit

Prof. Dr. Becker-Eberhard
Juristenfakultät
Prof. Dr. Lux
Theologische Fakultät
Prof. Dr. Michel
Fakultät für Physik und Geowissenschaften
Prof. Dr. Oldiges
Juristenfakultät

offenes Rundschreiben an die Wissenschaftler der Universität Leipzig

Prof. Dr. Ekkehard Becker-Eberhard
Prof. Dr. Rüdiger Lux
Prof. Dr. Dieter Michel
Prof. Dr. Martin Oldiges

Leipzig, 10. Dezember 2003

Neugestaltung der Universitätsgebäude am Augustusplatz

Sehr verehrte Frau Kollegin,
sehr geehrter Herr Kollege,

Sie haben mit teils zustimmender, teils ablehnender Tendenz auf den offenen Brief geantwortet, den wir vier Unterzeichner im September an die Hochschullehrer und Hochschullehrerinnen unserer Universität gerichtet und in dem wir Sie gebeten haben, Ihre Meinung zu der von uns vorgeschlagenen kirchennahen und an der Kubatur der ehemaligen Paulinerkirche orientierten Wiederbebauung des Kirchengrundstücks zu äußern. Wir danken Ihnen sehr herzlich dafür, dass Sie sich mit Ihrer Antwort in einen inneruniversitären Diskurs um das zentrale Thema der baulichen Neugestaltung der Universität am Augustusplatz eingebracht haben.

Diesen Diskurs wieder zu eröffnen, war das wesentliche Anliegen unseres Briefes. Die Ausschreibungsvereinbarung zwischen Universität, Stadt und Freistaat eröffnet ein Fenster von Konzeptionsmöglichkeiten, deren Variationsbreite doch sehr weit ist. Alle Beteiligten, vorab die Universität, werden sich zu den nun bald zu erwartenden Entwürfen in irgendeiner Weise zu verhalten haben. Mit unserem Brief wollten wir dazu beitragen, dass die Universitätsöffentlichkeit die Entscheidungsmöglichkeiten zunächst einmal als solche überhaupt wahrnimmt und sich sodann damit meinungsbildend und entscheidungsvorbereitend auseinandersetzt. Unsere eigene Position haben wir in dem Brief erkennen lassen. Sie liegt im Rahmen dessen, was auch zuvor schon Senat und Konzil als ihre Vorstellungen in die vorbereitende Diskussion eingebracht haben und was nunmehr auch in der Ausschreibung steht.

Auf unsere Umfrage hin haben wir 71 Antworten mit zum Teil sehr ausführlicher Begründung erhalten; davon lassen sich 51 Antworten als Befürwortung und 18 Antworten als Ablehnung einer kirchennahen Wiederbebauung interpretieren. Dieses Ergebnis lässt immerhin erkennen, dass die Hochschullehrer unserer Universität nicht, wie gelegentlich vermutet oder geargwöhnt wurde, der Frage nach der baulichen Selbstdarstellung der Universität ganz überwiegend desinteressiert gegenüber stünden. Auch dürfte klar geworden sein, dass der Ruf nach einer kirchennahen Lösung immerhin auf ein solches Maß an positiver Resonanz stößt, dass bei den anstehenden Entscheidungen nicht ohne weiteres darüber hinweggegangen werden kann.

Wir Unterzeichner wünschen uns, dass der Umgang mit dem Grundstück der ehemaligen Universitätskirche auch bei den jetzt anstehenden und dann definitiven Entscheidungen unser aller Aufmerksamkeit gewinnt und dass schließlich eine Lösung gefunden wird, die den gegenwärtig noch anhaltenden Diskussionen ein allseits befriedigendes Ende setzt.

Mit kollegialen Grüßen
auch für die übrigen Mitunterzeichner

Martin Oldiges


 

im Dialog

Antwortschreiben von Frau Prof. Dr. Schubert

Antwort von Prof. Dr. Bigl

Antwort von Prof. Dr. Pahl

Antwort von Prof. Dr. Stekeler-Weithofer

Stellungnahme des StudentInnenRates

Reaktion von Prof. Dr. Lux

Aufforderung zum Dialog mit der Universität durch Dr. H. Schneider

Horst Stephan zu den "Hinderungsgründen"

Schriftsatz von Herrn Dr. Dietrich Koch und Herrn Dr. Eckhard Koch an Frau Prof. Schubert

Offener Brief von Dr. Dietrich Koch an Professor Dr. Volker Bigl

Kommentar zu den Beiträgen von: Prof. Dr. Bigl, Prof. Dr. Stekeler-Weithofer, Prof. Dr. Pahl und Gullnick/Schulz/Trepper

 

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